Am Donnerstag, dem 12.01.23, beginnt am Landgericht Erfurt der Prozess zum brutalen Angriff vor der Thüringer Staatskanzlei im Juli 2020, bei dem sich fünf Angeklagte wegen Landfriedensbruch und gefährlicher Körperverletzung verantworten müssen.
Damals wurden mehrere junge Menschen, die sich am Erfurter Hirschgarten befanden, von einer Gruppe rechter Täter ohne Vorwarnung brutal attackiert. Die Angreifer traten gezielt auch auf bereits bewusstlose Personen ein und nahmen damit mutmaßlich den Tod der reglos am Boden liegenden Schwerverletzten in Kauf.
Es ist der nunmehr vierte Prozess, in dem zum Überfall an der Staatskanzlei verhandelt wird. Bereits im Sommer und Herbst 2022 gab es Verhandlungen vor dem Jugendschöffen- sowie Amtsgericht. Hier wurden vergleichsweise milde Strafen und insbesondere lediglich Verwarnungen gegenüber den Angeklagten ausgesprochen. Dabei spielte das rechte Tatmotiv in den Urteilsbegründungen kaum eine Rolle. Theresa Lauß, Beraterin bei ezra führt dazu aus: „Dass bei einem solch brutalen Gewaltexzess, wie er vor der Thüringer Staatskanzlei passierte, ein mögliches rechtes Tatmotiv nicht viel vehementer thematisiert und untersucht wird, ist für uns als spezialisierte Beratungsstelle nicht nachvollziehbar.“
Bereits in ihren Zeug:innenaussagen vor Gericht äußerten einige Betroffene, dass ihrer Ansicht nach ein rechtes Tatmotiv beim Angriff gegeben sei. Ein vernehmender Polizeibeamter bestätigte, dass die Beschuldigten sich teilweise selbst als rechts-national und die Betroffenen dem „linken Milieu“ zuordneten. Von den Strafverfolgungsbehörden untersuchte Chatnachrichten zwischen Beschuldigten aus dem Tatzeitraum zogen Ermittlungen wegen Verwenden von Kennzeichen.
„Aus unserer Sicht sprechen weitere Hinweise dafür. Die Tat zeugt von einer geringen Hemmschwelle, die Täter fühlten sich so sicher, dass sie den Übergriff sogar unter den dort installierten Überwachungskameras verübten. Durch Gewalt werden Kämpfe der Raumhoheit ausgetragen. Dies ist Teil einer Strategie der extremen Rechten.“, führt Lauß weiter aus.
Einige der Angeklagten, gegen die nun am Landgericht verhandelt wird, sind laut öffentlicher Recherchen der militanten organisierten Neonaziszene zuzuordnen – teilweise wurde gegen sie in der Vergangenheit auch schon bei anderen rechten Angriffen ermittelt.
„An das anstehende Verfahren am Landgericht knüpfen sich viele Erwartungen. Es bleibt zu hoffen, dass die Justiz nun ihrer Verantwortung nachkommt und den Vorfall und ein vermutetes rechtes Motiv allumfassend aufklärt und in der Strafzumessung berücksichtigt.“ so Lauß abschließend.
ezra arbeitet in Trägerschaft der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Seit April 2011 unterstützt die Beratungsstelle Menschen, die angegriffen werden, weil Täter*innen sie einer von ihnen abgelehnten Personengruppe zuordnen. Finanziert wird die Opferberatungsstelle über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und das Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit „DenkBunt“.