Bei dem brutalen rechten Angriff in der Nacht vom 17. auf den 18. Juli 2020 vor der Thüringer Staatskanzlei in Erfurt, von dem mindestens 20 Personen betroffen waren, wurden mehrere zum Teil schwer verletzt und mussten im Krankenhaus behandelt werden.
„Das war keine ‚Massenschlägerei’ oder ‚Auseinandersetzung’, sondern ein gezielter, koordinierter und heimtückischer Angriff auf friedlich feiernde Menschen durch vermutlich kampfsporterfahrene, rechte Gewalttäter. Die Täter waren teilweise vermummt und wussten genau, was sie taten. Sie gingen hemmungslos und mit enormer Brutalität vor und nahmen tödliche Verletzungen wissentlich in Kauf, indem sie beispielsweise weiter auf Personen eintraten, die bewusstlos am Boden lagen“, erklärt Christin Fiedler, Beraterin bei ezra, der Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen. Dass der Angriff auf einem öffentlichen, videoüberwachten Platz vor der Thüringer Staatskanzlei stattfand, zeigt für Fiedler, „wie sicher sich die Täter fühlten, die noch nicht einmal aufhörten, als die Polizei längst vor Ort war.“
Vor allem die anfängliche mediale Berichterstattung war und ist für die Betroffenen und Zeug*innen hochgradig problematisch, da sie kontinuierlich durch Täter-Opfer-Umkehr, Falschdarstellungen und wenig Sensibilität auffiel. „Wir fühlten uns nach den ersten Medienberichten wie Täter*innen. Dabei haben wir von Anfang an – auch gegenüber der Polizei – gesagt, dass wir ohne vorausgegangenen Kontakt und ohne Vorwarnung überfallen wurden. Das hätte wahrscheinlich fast jeden treffen können, der zufällig vor Ort war”, macht eine Betroffene und Zeugin des Angriffs deutlich. Die beobachtete Kleidung und äußerlichen Merkmale der Täter lassen auf einen rechten Hintergrund schließen. Zudem handelt es sich bei den Betroffenen nicht um Jugendliche, sondern Erwachsene im Alter zwischen Mitte 20 und Anfang 30.
„Die Berichterstattung in den Medien muss endlich den brutalen Angriff von rechten Tätern thematisieren, statt weiterhin von einer ‚Schlägerei’ zu sprechen. Rassistische Fake-News, beispielsweise dass es sich bei den Täter*innen um Migrant*innen gehandelt haben soll und von rechtsextremen Medien und Social Media Accounts verbreitet werden, müssen geahndet und richtiggestellt werden,“ fordert die ezra-Mitarbeiterin. Zudem macht Fiedler deutlich, „dass es jetzt schnelle Ermittlungserfolge durch Polizei und Staatsanwaltschaft geben muss, um alle beteiligten Täter zeitnah zur Rechenschaft zu ziehen. Unverständlich bleibt für die Betroffenen und Zeug*innen, dass die zwei festgenommenen Täter am nächsten Tag wieder freigelassen wurden.“ Dass Täter*innen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt nach Jahren noch nicht verurteilt wurden, ist kein Einzelfall, wie der brutale Überfall von organisierten Neonazis auf eine Kirmesgesellschaft in Ballstädt im Februar 2014 exemplarisch zeigt.
Betroffenen, Zeug*innen und Angehörigen des rechten Angriffs in Erfurt, die noch nicht bei ezra in Beratung sind, bietet die Opferberatungsstelle Beratung und Unterstützung an. ezra arbeitet in Trägerschaft der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Seit April 2011 unterstützt die Beratungsstelle Menschen, die angegriffen werden, weil Täter*innen sie einer von ihnen abgelehnten Personengruppe zuordnen. Finanziert wird die Opferberatungsstelle über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und das Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit „DenkBunt“.