Opferberatung ezra appelliert an Verantwortung des Landgerichts Erfurt gegenüber den Betroffenen des brutalen Neonazi-Überfalls im Februar 2014 in Ballstädt: „Dieser Verantwortung kommt es nicht nach, wenn es die selbstverschuldete Neuverhandlung in das nächste Jahr verzögert“

Nach der Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofs im sogenannten Ballstädt-Verfahren, das Urteil des Landgerichts Erfurt vollumfänglich aufzuheben und die Sache zur Neuverhandlung an eine andere Kammer zurückzugeben, hat dieses nun auf Anfrage von MDR Thüringen mitgeteilt, dass ein Verhandlungsbeginn vermutlich erst im nächsten Jahr liegen werde. Bei dem brutalen Neonazi-Überfall auf eine Kirmesgesellschaft in Ballstädt im Februar 2014 erlitten zehn Menschen zum Teil schwere Verletzungen. Im Mai 2017 hatte das Landgericht Erfurt zehn der ursprünglich 14 Angeklagten zu Haftstrafen zwischen einem Jahr und dreieinhalb Jahren verurteilt.

„Die Betroffenen müssen weiter in Angst leben und sich vor allem mit den Täter*innen auseinandersetzen. Sie finden keinen Abschluss mit dem Angriff im Februar 2014. Das Landgericht Erfurt, das offensichtlich massive Fehler zu verantworten hat, hat eine Verpflichtung den Betroffenen gegenüber. Dieser Verantwortung kommt es nicht nach, wenn es die selbstverschuldete Neuverhandlung in das nächste Jahr verzögert“, erklärt Robert Friedrich, Berater bei ezra, der Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen, der die Betroffenen seit dem Vorfall begleitet. In seiner Entscheidung hatte der BGH betont, dass es keine Zweifel an der Schuld der verurteilten Neonazis habe und führte handwerkliche Fehler in der schriftlichen Abfassung des Urteils durch das Landgericht Erfurt als Begründung an.

Dass sechseinhalb Jahre nach dem Angriff die Täter*innen noch nicht zur Rechenschaft gezogen wurden, nennt Friedrich „ein Versagen des Rechtsstaates mit fatalen Folgen für die Betroffenen, ihre Familien oder Freunde, die seitdem viel durchmachen mussten. Zudem drängt sich die Frage auf, ob das Landgericht das Verfahren mit der Ernsthaftigkeit behandelt, die nötig wäre.“ Die Rechtsanwältin Kristin Pietrzyk, die Betroffene als Nebenkläger*innen vertritt, ergänzt: „Dem Landgericht stünde es gut zu Gesicht nach der Entscheidung des BGH zumindest den Anstand zu haben, die Betroffenen und deren Anwält*innen über den weiteren Fortgang frühzeitig in Kenntnis zu setzen. Das hat es wieder einmal versäumt. Insgesamt bleibt damit bei den Betroffenen nicht nur der Eindruck, dass es zu viel verlangt sei, ein formell korrektes Urteil abzufassen, sondern auch mit den Verfahrensbeteiligten zu kommunizieren.“

ezra arbeitet in Trägerschaft der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Seit April 2011 unterstützt die Beratungsstelle Menschen, die angegriffen werden, weil Täter*innen sie einer von ihnen abgelehnten Personengruppe zuordnen. Finanziert wird die Opferberatungsstelle über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und das Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit „DenkBunt“.