Heute wurde am Amtsgericht Rudolstadt das Urteil gegen einen der aktivsten und in der Thüringer Neonaziszene gut vernetzten Neonazi Felix R. aus Saalfeld verkündet. Diesem wurden 15 Straftaten zur Last gelegt – darunter befinden sich u.a. Körperverletzungsdelikte, Bedrohung, Nötigung, diverse Sachbeschädigungen, Störung der Totenruhe sowie ein Verstoß gegen das Sprengstoff- und Waffengesetz. Das Gericht sah die angeklagten Straftaten zum großen Teil als erwiesen an und verurteilte Felix R. zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten. Der Verurteilte, der seit Ende Oktober 2019 in Untersuchungshaft saß, bleibt in Haft. Das rechte Tatmotiv fand umfassend Anerkennung und wurde strafschärfend berücksichtigt.
„Für die Betroffenen sowie Nebenkläger ist dieses Urteil wichtig und bedeutet eine Erleichterung. Das rechtsstaatliche Signal an den Täter und die neonazistische Szene von Saalfeld-Rudolstadt ist für die betroffenen Menschen aus dem Landkreis von enormer Bedeutung, denn für sie und viele andere Menschen, die den rechten Hass des Täters zu spüren bekamen, sind einzelne Orte in der Region zum Angstraum geworden“, erklärt Franziska Schestak-Haase, die zuständige Beraterin bei ezra.
Eine große Belastung für die Betroffenen und Zeug*innen stellte die Situation vor dem Eingang des Amtsgerichts zu Beginn der jeweiligen Verhandlungstage dar. Dort hatten sich an allen sechs Verhandlungstagen Angehörige der extrem rechten Szene versammelt, um einen der begehrten Plätze im Gerichtssaal zu erhalten. Aufgrund der Beschränkungen zu Gunsten einer Eindämmung von COVID-19 standen der Öffentlichkeit nur wenige Plätze zur Verfügung. Sowohl Unterstützer*innen der Betroffenen, die als Zeug*innen aussagten, als auch die Betroffenen selbst und Vertreter*innen der Opferberatung wurden bedrängt und beleidigt. Darunter waren neben Akteuren der lokalen Neonaziszene auch überregional agierende Personen wie bspw. Anhänger der Garde20/Turonen, die z.B. am Ballstädt-Überfall beteiligt waren, sowie mutmaßliche Anhänger der extrem rechten Fußball-Hooligan-Gruppe „Jungsturm“ des FC Rot-Weiß-Erfurt – gegen die Gruppierung laufen aktuell Ermittlungen wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Bis zum letzten Verhandlungstag konnten die eingesetzten Beamt*innen die Situation vorm Gerichtsgebäude nicht regeln und forderten die Anwesenden gar auf, die Sache unter sich zu klären. Am letzten Verhandlungstag entschieden die Beamt*innen – im Unterschied zu den vorherigen Tagen – dass die Unterstützer des Angeklagten alle Zuschauer*innenplätze bis auf einen erhielten.
„Diese Praxis reiht sich in die wenig vertrauensbildende Erfahrung während der Ermittlungen ein. Betroffene wurden beispielsweise seitens der Ermittlungsbehörden immer wieder verdächtig, selbst für die brutalen rechten Angriffe verantwortlich zu sein. Als Opferberaterin sehe ich in dieser Täter-Opfer-Umkehr eine weitere Viktimisierungserfahrung der Betroffenen durch die Polizei“, führt Schestak-Haase weiter aus. Zudem wurde die Zeug*innenbegleitung durch den externen Sicherheitsdienst und einzelne Justiz- und Polizeibeamte im Gerichtsgebäude erschwert. „Dafür, dass meine Kollegin heute ihrer Aufgabe der psychosozialen Prozessbegleitung nicht nachkommen konnte und ihr der Eintritt ins Gebäude verwehrt wurde, gab es keinen nachvollziehbaren Grund. Das haben wir bisher an keinem Thüringer Gericht erlebt. Zudem wurden wir an einem früheren Verhandlungstag daran gehindert, Betroffene mit Wasser und Verpflegung zu versorgen, die mehrere Stunden auf ihre Vernehmung warten mussten. Dafür habe ich kein Verständnis“, schließt Schestak-Haase ab.
Zur Unterstützung der Kostendeckung für die juristische Begleitung einiger Zeug*innen wird um Spenden gebeten. Unter dem Stichwort „Saalfeld“ können diese an den Opferhilfsfonds der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands gerichtet werden.
Spendenkonto Opferberatung
IBAN DE60 5206 0410 0008 004820
BIC GENO DEF 1EK1 (Bank Ev. Kreditgenossenschaft e. G.)
Kennwort „Saalfeld“
ezra arbeitet in Trägerschaft der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Seit April 2011 unterstützt die Beratungsstelle Menschen, die angegriffen werden, weil Täter*innen sie einer von ihnen abgelehnten Personengruppe zuordnen. Finanziert wird die Opferberatungsstelle über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und das Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit „DenkBunt“.