Zum Beginn der Neuverhandlung im Ballstädt-Prozess erklärt eine Betroffene des brutalen Neonazi-Angriffs: „Es ist absolut unverständlich, dass die Täter:innen damit überhaupt noch auf freiem Fuß sein können.“

Heute beginnt die notwendig gewordene Neuverhandlung im Prozess zum gezielten, koordinierten und brutalen Neonazi-Angriff auf eine Feier einer Kirmesgesellschaft im Februar 2014 in Ballstädt. Bei diesem wurden zehn Menschen zum Teil schwer verletzt. Seit über sieben Jahren warten die Betroffenen vergeblich auf eine rechtskräftige Verurteilung der Täter:innen.

„Jede zugeschlagene Tür, jeder Knall, jede Sirene löste in mir Panik aus“, beschreibt Sophia*, eine Betroffene, die Zeit nach dem brutalen Neonazi-Überfall. Die Folgen sind für sie bis heute zu spüren. Eine enorme Belastung ist es aber vor allem, dass über sieben Jahre danach noch keine:r der Täter:innen rechtskräftig verurteilt wurde. „Die Täter laufen weiterhin stark und selbstbewusst durch unseren Ort. Jederzeit ist mit einem erneuten Angriff zu rechnen, sie fühlen sich stark und erfahren keine Konsequenzen.“

Einen sogenannten „Deal“ mit den angeklagten Neonazis, der beinhalten könnte, dass Haftstrafen in Bewährungsstrafen umgewandelt werden, um das Verfahren abzukürzen, kann Sophia unter keinen Umständen nachvollziehen. „Die haben den Tod in Kauf genommen. Es ist absolut unverständlich, dass die Täter:innen damit überhaupt noch auf freiem Fuß sein können.“ Von den verantwortlichen Politiker:innen erwartet sie, dass eine Lösung gefunden wird, „dass solche überlangen Verfahren und Deals bei rechtsmotivierten Straftaten nicht mehr möglich sind.“

Auch Franz Zobel, Projektkoordinator von ezra, der Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen, unterstützt die Forderung, da es sich um keinen Einzelfall handelt. „Es gibt ein massives Problem der Thüringer Justiz im Umgang mit rechtsmotivierter Gewalt. Verfahren werden verschleppt, eingestellt, Täter:innen erhalten milde Strafen oder das rechte Tatmotiv wird nicht anerkannt.“

Von der beginnenden Neuverhandlung im Ballstädt-Prozess erhoffe sich Zobel, „dass der zu erwartenden gezielten Täter-Opfer-Umkehr durch die Verteidigung kein Raum im Gerichtssaal gegeben wird. Statt diese, wie in erster Instanz geschehen, im schriftlichen Urteil noch zu würdigen, muss es darum gehen, dass eindeutig rechte Tatmotiv zu berücksichtigen.“ Außerdem muss unterbunden werden, dass die angeklagten Neonazis, wie in der eineinhalbjährigen Verhandlung am Landgericht Erfurt, in Szene-Kleidung erscheinen, die neonazistische Ideologie und rechte Gewalt verherrlicht. „Damit wird selbstbewusst ein Angstraum im Gericht geschaffen, der eine zusätzliche Belastung für die Betroffenen ist“, erklärt der Projektkoordinator abschließend.

Die fachspezifische Betroffenenberatungsstelle ruft dazu auf, sich mit den Betroffenen solidarisch zu zeigen. Dazu gibt es die Möglichkeit der solidarischen Prozessbeobachtung an den Verhandlungstagen, die Teilnahme an geplanten Solidaritäts-Kundgebungen in der Nähe des Verhandlungssaals an der Erfurter Messe oder die Unterstützung der Petition „Keine Deals mit Nazis“ der OMAS GEGEN RECHTS Erfurt.

ezra arbeitet in Trägerschaft der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Seit April 2011 unterstützt die Beratungsstelle Menschen, die angegriffen werden, weil Täter*innen sie einer von ihnen abgelehnten Personengruppe zuordnen. Finanziert wird die Opferberatungsstelle über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und das Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit „DenkBunt“.

* Name geändert