Am vergangenen Wochenende ereignete sich in Kahla wiederholt ein rassistischer Angriff von Nazis auf geflüchtete, minderjährige Jugendliche. Dabei wurden vier Betroffene gefährlich verletzt und mussten im Krankenhaus behandelt werden. Zu dem Vorfall kam es, als die Betroffenen sich vor ihrem Wohnhaus aufhielten und plötzlich von einem männlichen Gast einer Veranstaltung in den Räumen der Dartmannschaft des „SV1910 Kahla“ provozierend angesprochen wurden. Als die Jugendlichen wissen wollten, was gemeint ist, wurden sie von dem Mann angegriffen. Daraufhin schlossen sich vorbeigehende Passant*innen und weitere Gäste der Veranstaltung mit dem Täter zusammen und attackierten als gewalttätiger Mob die Gruppe der Jugendlichen. In ihrer Angst flüchteten die Betroffenen in das Wohnhaus, woraufhin sie von den Tätern weiterverfolgt wurden. Diese drangen sogar in den Wohnbereich der minderjährigen Jugendlichen ein, der als privater Schutzraum eine besondere Bedeutung hat und schlugen auf die Betroffenen ein. Einige Jugendliche konnten sich in Wohnräumen verstecken oder suchten den Schutz des zuständigen Betreuers. Bevor die Täter die Wohnung wieder verließen, wurden dem Betreuer weitere Übergriffe angedroht, sollte er staatliche Ermittlungsbehörden informieren.
Die Betroffenen berichten zudem, dass sie in den Tagen nach dem Angriff von Personen der hiesigen Neonazi-Szene beobachtet wurden. Sie hielten sich bedrohlich in der Nähe des Wohnhauses der Jugendlichen auf, fuhren mit Autos vorbei und fotografierten diese mit ihren Handys. „Die Betroffenen sind von dem Angriff stark traumatisiert und trauen sich nicht mehr aus ihrem Wohnbereich, der für sie auch seine Schutzfunktion verloren hat“, so Franz Zobel von der Beratungsstelle ezra.
Für ezra kommt der brutale Angriff nicht überraschend, sondern ist nur die logische Konsequenz eines der angenehmsten Rückzugsorte für Neonazis in Thüringen. Dazu erklärt der Berater: „In Kahla beobachten wir seit Jahren massive Bedrohungen und Angriffe gegen Geflüchtete, politisch Engagierte und Orte demokratischer Kultur durch die dort aktive Neonaziszene. Leider müssen wir konstatieren, dass wir Betroffenen wiederholt erklären müssen, dass diese Stadt kein sicherer Ort für sie ist und sowohl Verantwortungsträger*innen aus Politik, Gesellschaft und Verwaltung als auch Sicherheitsbehörden es nicht geschafft haben, dem menschenverachtenden Klima der Neonazis etwas entgegenzusetzen. Für die Betroffenen ist die Stadt Kahla gewissermaßen ein rechtsfreier Angstraum. Diesem Gefühl kann entgegengewirkt werden, indem die Kahlaer Bürger*innen ihre Solidarität mit den Betroffenen zeigen und rechte, rassistische und antisemitische Angriffe in ihrer Stadt klar verurteilen.“ Die Beratungsstelle hat mehrere Betroffene rassistischer Angriffe aus Kahla in Beratung und geht von einer hohen Dunkelziffer aus. Hinzu kommen zahlreiche rassistische Beleidigungen und Diskriminierungen, die unterhalb der Gewaltschwelle liegen und in der Statistik von ezra nicht erfasst werden.
Auch der Demokratieladen Kahla bestätigt die Situation in Kahla und verweist auf die Arbeit der Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit dem Brandanschlag auf den Demokratieladen vor zwei Jahren: „Dass die Täter bis heute nicht zweifelsfrei ausfindig gemacht und verurteilt werden konnten zeigt, dass die Neonazi-Szene mit keinen Konsequenzen rechnen muss. Das ist ein Schlag ins Gesicht für all die Bürger*innen, die sich gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit engagieren. Unsere Solidarität gilt den Betroffenen des rassistischen Angriffs vom Wochenende.“
ezra arbeitet in Trägerschaft der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Seit April 2011 unterstützt die Beratungsstelle Menschen, die angegriffen werden, weil Täter*innen sie einer von ihnen abgelehnten Personengruppe zuordnen. Finanziert wird die Opferberatungsstelle über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und das Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit „DenkBunt“.