Opferberatungsstelle ezra fordert nach Täter-Opfer-Umkehr durch Polizei Anerkennung des rassistischen Tatmotivs

Am 29.08.2020 wurde in einem Suhler Linienbus ein junger Mann zunächst rassistisch beleidigt und dann mit einer Glasflasche ins Gesicht geschlagen. Der Verletzte erlitt mehrere massive Platz- und Schnittwunden an Kopf und Gesicht und musste im Nachgang im Krankenhaus behandelt werden. In einem Artikel im Freien Wort vom 30.09.2020 wird eine politische Motivation durch die zuständige Polizeibehörde ausgeschlossen und dem Betroffenen eine Mitschuld gegeben. Die Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen (ezra) spricht von einer Täter-Opfer-Umkehr, polizeilichen Fehlverhalten und fordert eine Anerkennung des rassistischen Tatmotivs in den Ermittlungen. Zudem ruft ezra zur Solidarität mit den Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt auf.

Nach Gesprächen mit dem Betroffenen konstituiert Christin Fiedler, zuständige Beraterin bei ezra: „Es ist nicht nachvollziehbar, dass das rassistische Tatmotiv nicht als solches erkannt und benannt wird. Das dem Betroffenen nun noch eine Mitschuld gegeben wird, ist erschreckend und ein Paradebeispiel für eine Täter-Opfer-Umkehr.“

Dass der Rassismus der Täter*innen die Basis dieses Angriffs darstellt, argumentierte bereits eine antifaschistische Gruppe aus Südthüringen in einem Beitrag vom 31.08.20 auf ihrer Homepage.

Die nun erfolgte Täter-Opfer-Umkehr ist ein weiteres problematisches Element im polizeilichen Verhalten in diesem Fall. Als die Beamt*innen 20 Minuten nach Absetzen des Notrufs eintrafen, befragten sie im Folgenden ausschließlich die Täter*innen und zeigten keinerlei Fürsorge gegenüber dem verletzten Betroffenen. „Die Polizei war sehr unfreundlich zu mir. Sie haben nur meinen Ausweis kontrolliert und ansonsten nicht weiter mit mir gesprochen“, äußert sich der Betroffene zum polizeilichen Vorgehen.

In der Pressemitteilung der Polizei vom 1.9.2020 wird von einer Auseinandersetzung gesprochen, was eine Gleichbeteiligung der involvierten Personen an der Situation suggeriert. Fiedler betont, „dass die rassistischen Einstellungen der Täter*innen Ursache des Angriffs sind und zur Tateskalation beigetragen haben“. Sie führt weiter aus: „Es kann keine Rede davon sein, dass der Angriff nicht politisch bzw. rassistisch motiviert gewesen ist. Er zeugt zudem von einer enormen Brutalität. Es ist zwingend notwendig, dass die Ermittlungen dahingehend weiter vorangetrieben werden. Hierzu gehört auch die Einbeziehung der Betroffenenperspektive, die bisher nicht genug Berücksichtigung fand. Das rassistische Motiv muss im Laufe des Verfahrens anerkannt werden. Fehlende Konsequenzen und die Nicht-Anerkennung des Tatmotivs sind eine zusätzliche Belastung für den Betroffenen und ein fatales Signal an die Täter, die sie in ihrem Handeln bestärken und weitere rassistische Taten begehen lassen“, sagt Fiedler. 

Der Vorfall reiht sich ein in eine Kontinuität rechter Angriffe in Thüringen. Auch für den Betroffenen selbst ist das neben regelmäßigen verbalen Anfeindungen bereits der zweite tätliche Angriff mit einem rassistischen Tatmotiv, den er in Südthüringen erleben musste.

„Sollten Sie Zeug*in eines Angriffs werden, lassen Sie die betroffenen Menschen bitte nicht alleine. Je nach Situation, fragen Sie, was die Betroffenen für den Moment brauchen oder organisieren Sie Hilfe. Solidarisieren Sie sich mit Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt“, appelliert Christin Fiedler.

ezra arbeitet in Trägerschaft der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Seit April 2011 unterstützt die Beratungsstelle Menschen, die angegriffen werden, weil Täter*innen sie einer von ihnen abgelehnten Personengruppe zuordnen. Finanziert wird die Opferberatungsstelle über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und das Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit „DenkBunt“.