Thüringer Opferberatungsstelle ezra registriert Zunahme rassistischer Gewalt in 2021 und warnt vor weiterer Eskalation

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Die Opferberatungsstelle ezra hat am heutigen Mittwoch ihre Jahresstatistik des unabhängigen Monitorings rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen für das Jahr 2021 vorgestellt. Es wurden insgesamt 119 rechte, rassistische und antisemitische Gewaltstraftaten im Freistaat registriert, von denen mindestens 177 Menschen direkt betroffen waren. Darunter auch 27 Kinder. Das häufigste Tatmotiv bleibt Rassismus (80 Fälle / 67 Prozent), gefolgt von Angriffen auf vermeintliche politische Gegner:innen (19 Fälle / 16 Prozent) und Journalist:innen (8 Fälle / 7 Prozent). Bei dem Großteil der Angriffe handelt es sich um Körperverletzungsdelikte (84 Fälle / 71 Prozent) einschließlich des Versuchs. Die meisten Angriffe wurden wieder in Erfurt (28 Fälle) und Jena (16 Fälle) gezählt. Insgesamt wurden 234 Menschen im Jahr 2021 durch ezra unterstützt.

„Rassistische Gewalt hat in Thüringen im vergangenen Jahr zugenommen und ist damit wieder auf dem Niveau von 2015 angekommen“, macht ezra-Projektkoordinator Franz Zobel deutlich. Das Jahr 2015 markierte den Startpunkt einer Welle rassistischer Gewalt, bei der es auch zu zahlreichen Anschlägen auf Unterkünfte für Geflüchtete gekommen ist. Eine aktuelle Studie der Dualen Hochschule Gera-Eisenach bestätige zudem, was Betroffene und fachspezifische Opferberatungsstellen wie ezra seit Jahren sagen, betont Zobel: „Rassistische Erfahrungen sind in Thüringen Alltag, die nur ungenügend durch bestehende Statistiken erfasst werden. Tatsächlich haben wir es mit einer enormen Dunkelziffer zu tun.“ Erst kürzlich berichtete der MDR Thüringen über die repräsentative Befragung der Hochschule, wonach neun von zehn Befragten Geraer:innen mit Zuwanderungsgeschichte in den vergangenen fünf Jahren Erfahrungen mit Rassismus gemacht haben.

Für das Jahr 2021 wurden erstmals Angriffe im Kontext der Corona-Pandemie als rechte Gewalttaten registriert. Insgesamt haben 14 Fälle einen Corona-Bezug. In weiteren 13 Fällen fehlten weitere Informationen, um sie als rechte Gewalt oder Bedrohung einzuordnen. „Wir gehen aber auch in vielen dieser Fälle davon aus, dass hinter den Taten Ideologien wie Verschwörungserzählungen, Antisemitismus oder rechte Bedrohungsmythen stehen“, erklärt Opferberaterin und Soziologin Theresa Lauß, die bei ezra für die statistische Erfassung zuständig ist. Sie hebt hervor: „Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie mussten wir eine deutliche Zunahme von rechten Angriffen auf Journalist:innen unter anderem bei den ‚Querdenken‘-Demonstrationen feststellen, die auch Ausdruck einer jahrelangen Feindmarkierung durch extrem rechte Akteur:innen wie der AfD sind.“

„Mit Blick auf 2022 halten wir die Gefahr einer weiteren Eskalation von Rassismus wie zum Beispiel rassistischer Terroranschläge für extrem groß. Die Gründe dafür sehen wir insbesondere in den rassistischen Debatten in der Öffentlichkeit wie etwa über ‚echte‘ und ‚unechte‘ Geflüchtete, in einem weit verbreiteten Rassismus und im hohen Mobilisierungspotential der extrem Rechten“, warnt der Projektkoordinator der Thüringer Opferberatungsstelle. Er attestiert der Landespolitik Versäumnisse bei der Umsetzung von Maßnahmen, die sich unter anderem aus den beiden NSU-Untersuchungsausschüssen und der Enquetekommission Rassismus ergeben hätten, um entschieden gegen Rassismus, Antisemitismus und Neonazismus vorzugehen. „Zudem muss die Mehrheit der nicht-betroffenen Gesellschaft Verantwortung übernehmen. Dazu zählen auch gesellschaftliche Akteur:innen wie Unternehmen, Verkehrsbetriebe, Gewerkschaften oder Wohlfahrtsverbände“, fordert Zobel abschließend.

In die Statistik werden nur die Fälle aufgenommen, bei denen anhand fester Kriterien, die durch den Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V. (VBRG) als Qualitätsstandards gesetzt wurden und die sich an der Definition des Bundeskriminalamts zu „Politisch motivierter Kriminalität – rechts“ orientieren, ein rechtes Tatmotiv erkennbar ist. Nicht alle Fälle, die in der ezra-Chronik veröffentlicht werden, fließen in die Statistik ein und umgekehrt.

ezra arbeitet in Trägerschaft der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Seit April 2011 unterstützt die Beratungsstelle Menschen, die angegriffen werden, weil Täter*innen sie einer von ihnen abgelehnten Personengruppe zuordnen. Finanziert wird die Opferberatungsstelle über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und das Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit „DenkBunt“.