100 Tage nach Neonazi-Angriff auf Journalisten in Fretterode kritisiert ezra mangelnde Konsequenz bei Ermittlungen: „Diese erinnert fatal an das Prinzip Quellenschutz vor Strafverfolgung“ und ermutigt Neonazi-Gewalttäter

Vor genau 100 Tagen, am 29. April 2018, wurden im thüringischen Fretterode zwei Journalisten vor dem Haus des NPD-Landesvorsitzenden Thorsten Heise von zwei Neonazis angegriffen. Trotz eindeutiger Zeugenaussagen und Identifizierungen durch die Betroffenen und Fotos, die vom Angriff vorliegen, befinden sich die tatbeteiligten Neonazis auch 100 Tage nach der Tat noch auf freiem Fuß. Sie hatten die beiden Journalisten, die zu Recherchezwecken Foto- und Filmaufnahmen des Grundstücks von Thorsten Heise gefertigt hatten, mit dem Auto verfolgt und ihnen u.a. mit einem Schraubenschlüssel und einem Messer erhebliche Verletzungen zugefügt.

Der Neonazi-Kader Thorsten Heise ist aktuell auch im Zusammenhang mit den aktuellen Recherchen der Plattform EXIF zur erneuten Formierung des deutschen Combat-18-Netzwerks (s.u.) und dem NSU-Unterstützerumfeld genannt worden. Die ezra-Beraterin Theresa Lauß kommentiert: „Die bekannten Informationen zu Thorsten Heise und die jüngsten Recherchen zu dessen Rolle beim Wiederaufbau von Combat 18 in Deutschland zeigen, dass sich auch bereits vor dem Angriff auf die beiden Journalisten ein militantes und gewaltbereites Umfeld um Heise entwickelt hat, das über Jahre unter den Augen der Sicherheitsbehörden ungestört wachsen konnte.“

„Auch über drei Monate nach dem brutalen Angriff hat die Staatsanwaltschaft Mühlhausen noch keine Haftbefehle gegen die Täter erlassen und die Ermittlungen verlaufen weiterhin schleppend. Auch der Aufforderung an das Justizministerium, seine Aufsichtspflicht auszuüben und entsprechende Anweisungen an die Staatsanwaltschaft zu geben, ist bisher nicht nachgekommen worden“, kritisiert Lauß. Trotz eindeutiger Hinweise auf die Angreifer ließ die Staatsanwaltschaft stattdessen verlauten, dass die von den Betroffenen zur Verfügung gestellten Fotos zunächst auf Manipulationen untersucht werden müssen. „Auch wenn diese Aussage im Nachgang durch einen Sprecher der Staatsanwaltschaft relativiert wurde, haben die Strafverfolgungsbehörden versucht, die Opfer des Angriffs zu diskreditieren und ihr Nicht-Handeln zu legitimieren“, sagt die Opferberaterin.

„Diese Äußerungen finden in einem gesellschaftlichen Klima statt, in dem Justiz und Strafverfolgungsbehörden die Gewalt organisierter, militanter Neonazis wie Thorsten Heise und der mit ihm verbundenen Kameradschaftsstrukturen verharmlosen und neonazistische Gewalttäter*innen aufgrund inkonsequenter Ermittlungen nur kaum strafrechtliche Konsequenzen zu befürchten haben“, ergänzt Lauß weiter. Dies zeigen zuletzt u.a. auch milde Urteile oder Freisprüche, wie beispielsweise im Ergebnis des NSU-Prozess oder im Verfahren zum Bombenanschlag im Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn.

In Bezug auf die Bedeutung des Angriffs und die mangelnde Strafverfolgung durch Polizei und Justiz schließt Theresa Lauß: „Das inkonsequente Handeln der Staatsanwaltschaft Mühlhausen erinnert uns fatal an das Nichtstun der Ermittlungsbehörden in Thüringen in den 1990er Jahren gegen zentrale Unterstützer*innen des NSU-Kerntrios, die als V-Leute des Verfassungsschutzes schwere Straftaten begehen konnten, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Wir erwarten, dass die Staatsanwaltschaft Mühlhausen im Jahr 2018 die Lehren aus dem NSU-Komplex soweit gezogen hat, dass sie endlich mit einer adäquaten Strafverfolgung dieses schweren Angriffs beginnt. Sonst ist das Signal an die Täter: Ihr habt mit keinen erheblichen Konsequenzen für lebensgefährliche Angriffe auf Menschen zu rechnen.“

Weitere Informationen: https://exif-recherche.org/?p=4399

ezra arbeitet in Trägerschaft der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Seit April 2011 unterstützt die Beratungsstelle Menschen, die angegriffen werden, weil Täter*innen sie einer von ihnen abgelehnten Personengruppe zuordnen. Finanziert wird die Opferberatungsstelle über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und das Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit „DenkBunt“.