Im Juli kam es innerhalb von fünf Tagen zu zwei gewalttätigen Angriffen auf junge Geflüchtete in Thüringen: Rechte und rassistische Motive für Straf- und Gewalttaten müssen ernst genommen werden, fordern ezra, die Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen, refugio thüringen e.V. und der Flüchtlingsrat Thüringen e.V. und warnen vor einer Relativierung der Taten.
Die Polizei meldete am 18. Juli einen tätlichen Angriff auf einen 16-jährigen Jugendlichen am Bahnhof in Kahla durch drei Männer. Sie sprachen den Jugendlichen erst an, schlugen dann auf ihn ein und fuhren mit dem Zug davon. In Kahla war dies nicht der einzige Angriff auf junge Geflüchtete. Erst im April griffen Burschenschafter vier Jugendliche bei ihrer Unterkunft an und verfolgten sie bis in ihre Wohnräume. Am 23. Juli schoss in Untermaßfeld im Landkreis Schmalkalden-Meiningen ein 35-jähriger Mann mit einer Waffe auf vier junge Geflüchtete, die auf dem Weg in ihre Unterkunft waren. Den Schüssen soll ein Streit vorausgegangen sein. Laut Pressemeldung wurde niemand körperlich verletzt.
Im Jahr 2017 wurden ezra 16 Fälle bekannt, bei denen 20 Kinder im Alter bis 13 Jahre direkt und mindestens vier indirekt von Gewalttaten betroffen waren. Christina Büttner von ezra erklärt: „Die 20 direkt betroffenen Kinder wurden angegriffen und erlitten dabei physische und psychische Verletzungen. Die vier indirekt betroffenen Kinder waren bei Angriffen auf ihre Eltern dabei und mussten miterleben, wie diese geschlagen und misshandelt wurden. Sie befanden sich selbst ebenfalls in einer bedrohlichen Situation, die für sie erhebliche psychische Folgen hatte. Sie waren alle noch sehr jung, zwischen Säuglingsalter und frühem Grundschulalter.“ Im gleichen Jahr waren mindestens 19 Jugendliche direkt von Gewalttaten betroffen. „In der Mehrzahl der Fälle waren für die Angriffe rassistische Motive ausschlaggebend, die durch Worte geäußert, nonverbal oder durch die Auswahl der Opfer deutlich gemacht wurden“, erläutert Christina Büttner die Hintergründe der Statistik und betont: „Die Folgen von Gewalterfahrungen können für Kinder und Jugendliche individuell sehr schwerwiegend sein.“ Deshalb arbeitet die Opferberatungsstelle ezra eng mit refugio thüringen e.V. zusammen. Der Verein betreibt das Psychosoziale Zentrum für Flüchtlinge an den Standorten Jena und Erfurt und leistet therapeutische Hilfe für traumatisierte Geflüchtete. Dr. Julia Hauck, Projektkoordinatorin von Refugio schätzt ein: „Gerade bei Kindern und Jugendlichen ist die Gefahr groß, dass sie das Erlebte ohne therapeutische Hilfe nur schwer bewältigen können und die Gewalterfahrung prägend für ihre Entwicklung wird: individuelle Entwicklungschancen können dadurch verbaut und Lebenswege zerstört werden.“ Im Jahr 2018 wurden ezra bisher drei Angriffe mit drei direkt betroffenen Kindern und zehn Angriffe mit 19 betroffenen Jugendlichen bekannt. Von den insgesamt 13 erfassten Fällen ist in 11 Rassismus das vermutete Tatmotiv.
Antje-Christin Büchner ist beim Flüchtlingsrat Thüringen e.V. Ansprechpartnerin für junge Flüchtlinge. Sie fordert: „Bei Angriffen auf Kinder und Jugendliche handelt es sich um sehr ernst zu nehmende Vorfälle, welche die Gesellschaft nicht hinnehmen darf. Die meisten geflüchteten Kinder und Jugendlichen haben schon auf der Flucht schlimme Gewalterfahrungen gemacht. Sie müssen unbedingt vor weiterer Gewalt geschützt werden. Dass junge Flüchtlinge in Thüringen rassistische Gewalt erfahren ist jedoch traurige Realität. Die Täter*innen müssen konsequent verfolgt werden, ansonsten wird rassistische Gewalt verharmlost.“
Gemeinsam fordern sie von politisch Verantwortlichen und Strafverfolgungsbehörden, das Problem Rassismus zu erkennen und den Betroffenen damit zu zeigen, dass sie ernst genommen werden, wenn man sie schon nicht vor solchen Angriffen schützen kann. Dies muss auch konsequentere Ermittlungen durch Polizei und Staatsanwaltschaft unter Einbeziehung und klarer Benennung des rassistischen Tatmotives umfassen. Betroffene von rassistischer Gewalt brauchen vielfach psychotherapeutische Hilfe, die im besten Fall schnell zur Verfügung stehen muss. Mit dem Psychosozialen Zentrum für Flüchtlinge REFUGIO Thüringen steht dafür eine erfahrene Facheinrichtung zur Verfügung. Weil die personellen Kapazitäten dem Bedarf nicht entsprechen, müssen lange Wartezeiten eingeplant werden. Ein größeres Angebot an Therapiestunden sollte daher dringend ermöglicht werden.