Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit bedrohen die demokratische Zukunft Thüringens
Die große Wählerinnenmobilisierung durch die extreme Rechte in den zurückliegenden Kommunalwahlen am 26. Mai und 9. Juni und die fortschreitende Normalisierung von Rassismus und Demokratiefeindlichkeit prägen die derzeitige Situation in Thüringen. Vor der anstehenden Landtagswahl am 1. September muss konstatiert werden:
- Rechte und rassistische Gewalt sind weiterhin auf einem Höchststand.
- Rechtsextreme Szeneakteurinnen sind hochaktiv.
- Antidemokratische Bewegungen sind in der Fläche des Freistaats verbreitet.
- Der Rechtsextremismus wird in den kommunalen und lokalen Parlamenten zunehmend zum Problem.
- Antisemitische Vorfälle nehmen nach dem 7. Oktober 2023 in Thüringen massiv zu.
Zu diesen und weiteren Ergebnissen kommen die Herausgeber*innen der heute veröffentlichten „Thüringer Zustände 2023“.
Die Situation im Freistaat hat sich 2023 weiter zugespitzt und ist besorgniserregend: Das wird u. a. am weiterhin hohen Niveau rechter und rassistischer Gewalt deutlich, wie ezra mit ihrem unabhängigen Monitoring für das vergangene Jahr belegt. Dazu erklärt Franz Zobel, Projektleiter von ezra:
„Die Normalisierung von insbesondere rassistischer Gewalt hat ein gefährliches Ausmaß angenommen. Der Schutz der Betroffenen spielt in den sicherheitspolitischen Debatten im Freistaat kaum eine Rolle. Im Gegenteil wird mit rassistischer Stimmungsmache die Lage für viele Menschen weiter verschärft. Hinzu kommt, dass mit zunehmenden Wahlerfolgen der extrem rechten AfD eine weitere Eskalation rechtsmotivierter Angriffe droht.”
Johannes Streitberger, Geschäftsführer des KomRex, warnt, dass sich extrem rechte Einstellungen und Politik insbesondere in ländlichen Regionen weiter verfestigen: „Das ist nicht nur eine Gefahr für das demokratische Zusammenleben vor Ort, sondern wirkt auch als ein Standortnachteil für die wirtschaftliche Entwicklung, vor allem in Zeiten von Fachkräftemangel.”
Die extreme Rechte in Thüringen habe sich an die veränderte politische Lage angepasst, erklärt Romy Arnold, Projektleiterin von MOBIT: „Der Blick auf rechte Aktivitäten 2023 zeigt, wie erfolgreich die Strategie war, ein rechtsoffenes Protestspektrum zu etablieren, das themaunabhängig mobilisierbar ist. Egal ob bei Demos für ‚Frieden in der Ukraine‘, Reichsbürger-Demos oder Veranstaltungen der AfD: Diese Szene ist erfolgreicher in der Mobilisierung auf der Straße als es klassische extrem rechte Akteur*innen je waren und trägt somit auch zum Erfolg der AfD an den Wahl-urnen in Thüringen bei.”
Zu den bisherigen Wahlerfolgen der AfD erklärt Dr. Axel Salheiser, wissenschaftlicher Leiter des IDZ: „Der ambivalente Ausgang der Kommunalwahlen 2024 und der EU-Wahlen 2024 in Thüringen zeigt: Die AfD hat sich als ‚Volkspartei‘ in der Fläche Thüringens etablieren können – inzwischen ist sie fast überall im Land mindestens die zweitstärkste Kraft. Auch wenn ihr die Ämter von Landräten, Oberbürgermeistern und Bürgermeistern verwehrt bleiben: In vielen Kreistagen, Stadt- und Gemeinderäten ist sie nun sehr stark vertreten, dies wird in den nächsten Jahren die Kommunalpolitik wesentlich beeinflussen und vor allem die demokratische Zivilgesellschaft vor Ort weiter herausfordern. Mit diesem fortgesetzten ‚Rechtsruck‘ kann und darf sich nicht abgefunden werden.“
Mit Blick auf die Landtagswahlen wiederholen die Herausgeber*innen ihre Warnung aus dem Jahr 2022:
In Thüringen droht eine massive Krise für die Demokratie und die durch das Grundgesetz garan-tierte Menschenwürde mit bundesweiter Ausstrahlung. Dringender als zuvor braucht es entschiedenes Handeln demokratischer Politikerinnen und eine klare Unterstützung für Demokratieprojekte, die engagierte Zivilgesellschaft und die Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt.
Dazu gehört es auch, den Handlungsspielraum der in Thüringen als gesichert rechtsextrem geltenden AfD mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zu begrenzen. Alle demokratischen Akteurinnen auf Kommunal- und Landesebene sind aufgefordert, die extrem rechte AfD und die Zusammenarbeit mit ihr nicht weiter zu normalisieren.
Alle Demokrat*innen müssen sich bewusst werden: Die demokratische Zukunft und der Schutz von marginalisierten Gruppen steht, nicht nur in Thüringen, auf dem Spiel.
Was sind die „Thüringer Zustände“?
Die Publikationsreihe bietet eine kompakte, faktenbasierte Darstellung und kritische Einordnung der Situation des Rechtsextremismus, des Antisemitismus und Rassismus, der Abwertung, Diskriminierung und Hassgewalt im Freistaat Thüringen. Sie ist eine zivilgesellschaftliche Alternative zu den vorliegenden, teilweise lückenhaften Einschätzungen der zuständigen staatlichen Behörden.
Die „Thüringer Zustände“ erscheinen das vierte Jahr in Folge.
Welche Themen werden in der aktuellen Ausgabe behandelt?
- Rechte, rassistische und antisemitische Gewalt in Thüringen 2023
- Die extreme Rechte in Thüringen 2023
- Explosion antisemitischer Vorfallzahlen: Die Folgen des Massakers der Hamas in Thüringen
- #nordhausenzusammen: Wellenbrecher in Nordthüringen
- Stadt, Land, AfD: Antidemokrat*innen auf dem Vormarsch?
- Regionale Verbitterung und Rechtspopulismus: Auswirkung auf Unternehmenspraktiken, -netz-werke und -wettbewerbsfähigkeit
- AfD-Verbot: Verzichtet die „wehrhafte Demokratie” auf ihre Waffen?
- Feindbild ‚links‘: Kontinuitäten antilinker Gewalt
- Sekundäre Viktimisierung durch Polizei und Justiz
- Raus aufs Land“: Ausbau der Antidiskriminierungsberatung in Thüringen
Druckexemplare und PDF-Version
Kostenlose Druckexemplare der „Thüringer Zustände 2023“ können ab sofort bei den herausgebenden Institutionen bezogen werden. Die PDF-Version ist hier verfügbar: www.thueringer-zustaende.de.
Herausgeber*innen
Die „Thüringer Zustände“ werden herausgegeben von ezra – Beratung für Betroffene rechter, ras-sistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen, von MOBIT – Mobile Beratung in Thüringen – für Demokratie – gegen Rechtsextremismus, vom KomRex – Zentrum für Rechtsextremismusfor-schung, Demokratiebildung und gesellschaftliche Integration der Friedrich