Urteil nach dem brutalen, rassistischen Angriff in Erfurter Straßenbahn: „Es hätte nicht jede:n treffen können.“

Am heutigen 26.10.2021 fiel das Urteil am Landgericht Erfurt gegen Christian B., der im April 2021 einen, zum Tatzeitpunkt, 17-Jährigen Syrer aus rassistischen Gründen beleidigte, bespuckte und mit Schlägen und Tritten attackierte. Der nunmehr 41-Jährige wurde wegen gefährlicher Körperverletzung zu vier Jahren und neun Monaten Haft und 5.000 € Schmerzensgeld verurteilt. Die rassistisch motivierte Attacke ereignete sich in der Erfurter Straßenbahn und wurde von einer Mitfahrenden gefilmt. Über Social Media verbreitet sich das Video rasant und sorgte auch überregional für Schlagzeilen.

Das Bekanntwerden des rassistischen Angriffs setzte eine breite Solidaritätswelle in Gang, in deren Folge viele über ähnliche Erfahrungen berichteten. „Rassistische Beleidigungen, Bedrohungen, Übergriffe oder auch Erfahrungen mit institutionellem Rassismus gehören leider zum traurigen Alltag für viele Menschen“, so Christin Fiedler, Beraterin bei ezra, der Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen. Dass Täter, wie in diesem Fall, zur Rechenschaft gezogen werden, bleibt weiterhin eine Ausnahme.

Trotz der großen Belastung, die der Angriff und das Verfahren bedeuteten, zeigte der Betroffene im Gericht Stärke und Mut: so sprach der Täter, gegen den Willen des Betroffenen, eine wenig glaubwürdige Entschuldigung aus – der junge Mann ergriff die Chance und richtete das Wort an den Täter: „Ich wurde noch nie so geschlagen. Warum ich?“ Eine Antwort blieb der Täter ihm schuldig. Für Fiedler ist klar: „Es hätte nicht jede:n treffen können. Der junge Mensch wurde als Repräsentant einer durch Christian B. abgewerteten Gruppe angegriffen. Die rassistische Grundeinstellung des Täters ermöglichte erst die enorme Brutalität des Angriffs.“ Ergänzend sagt die Beraterin, „Alkohol und Drogen sind maximal Vorwand, um über die manifest internalisierte Einstellung hinwegzutäuschen. Es ist schön zu sehen, dass auch das Gericht diese Einschätzung weitestgehend vertritt“.

Zwischen Tat und Urteilsspruch lag eine vergleichsweise geringe Zeitspanne. „Ebenso die schnelle Inhaftierung des mehrfach vorbestraften Täters und dessen Verbleib in der U-Haft sind positiv hervorzuheben“, so Christin Fiedler. „Gründe dafür sind u.a. in der Tatsache zu suchen, dass es eine Videoaufnahme gab, die sich in den sozialen Medien massenhaft geteilt hatte, wodurch keine Zweifel an der Tatbegehung und Schuld des Täters bestanden“, erklärt sie. Beispielhaft war auch der zeugenfreundliche Umgang, v.a. mit dem jungen Hauptbetroffenen. „Die unkomplizierte Nutzung eines Zeug:innenschutzraumes, das Kontextualisieren von Nachfragen durch den Richter, die Anwesenheit einer Sprachmittlung, Geduld und der Umstand, dass der Täter während der Aussage des Betroffenen außerhalb dessen Sichtfeldes saß, trugen erheblich zur Qualität der Aussage bei“, konstatiert Fiedler. „Dieses Vorgehen war beispielhaft und erwarten wir auch in anderen Fällen von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt“, so Fiedler.

ezra arbeitet in Trägerschaft der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Seit April 2011 unterstützt die Beratungsstelle Menschen, die angegriffen werden, weil Täter*innen sie einer von ihnen abgelehnten Personengruppe zuordnen. Finanziert wird die Opferberatungsstelle über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und das Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit „DenkBunt“.