Urteil im sogenannten Herrenberg-Prozess bleibt hinter Erwartungen zurück – keine Konsequenzen für einige Angeklagte

Am heutigen Montag, dem 15.05.2023, fiel nach 14 Prozesstagen das Urteil im sogenannten Herrenberg-Prozess am Landgericht Erfurt, der den brutalen rassistischen Angriff auf drei junge Männer im Erfurter Stadtteil Herrenberg zum Gegenstand hatte. Von den anfangs zehn Angeklagten wurden vier zu Haft- und Bewährungsstrafen verurteilt und drei freigesprochen. Bei der Strafzumessung wurde § 46 Abs. 2 S. 2 StGB berücksichtigt. Der Vorsitzende Richter sprach von einem „eindeutigen rechtsradikalen Hintergrund“. Gegen drei Angeklagte wurde das Verfahren schon im Laufe des Prozesses eingestellt, weil ihnen konkrete Tathandlungen nicht nachgewiesen werden konnten.

Trotz der Anerkennung eines extrem rechten Tatmotivs und den verhangenen Haft- und Bewährungsstrafen, die wir als dringend notwendige Konsequenz für die Täter und als wichtiges Signal an die organisierte Neonazi-Szene halten, bleibt mit den drei Freisprüchen das Urteil hinter unseren Erwartungen zurück. Es besteht die konkrete Gefahr, dass die fehlenden Konsequenzen für einige Täter, erneut zu einer solchen Tat ermutigen“, erklärt Theresa Lauß, Beraterin bei ezra. Das Urteil blieb auch hinter dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft Erfurt zurück, die für alle Angeklagten Freiheitsstrafen ohne Bewährung gefordert hatte.

Die ezra-Beraterin fordert das Landgericht Erfurt auf, im Fall einer Revisionseinlegung die Überstellung des schriftlichen Urteils an den Bundesgerichtshof rasch umzusetzen, da zum Beispiel im sogenannten Ballstädt-Prozess die Urteilsabsetzung und Zustellung an den Bundesgerichtshof durch das Erfurter Landgericht über ein Jahr gedauert hatte: „Die Betroffenen können erst zu Ruhe kommen, wenn das Urteil rechtskräftig ist.“

Neben der rechtlichen Aufarbeitung der Tat kommt es für Lauß aber auch darauf an, „dass das massive Problem mit rassistischer Gewalt in Erfurt von den Verantwortlichen der Stadt endlich ernst genommen wird. Dafür braucht es auch auf lokaler Ebene konkrete Maßnahmen. Leider bleibt es viel zu häufig bei der Verurteilung von rassistischen Angriffen, vor allem dann, wenn sie durch Medien viel Aufmerksamkeit bekommen.“ Im vergangenen Jahr hat sich rechte und rassistische Gewalt in Erfurt fast
verdoppelt. In der Landeshauptstadt kam es jede Woche zu einem rechten oder rassistischen Angriff.

ezra arbeitet in Trägerschaft der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Seit April 2011 unterstützt die Beratungsstelle Menschen, die angegriffen werden, weil Täter*innen sie einer von ihnen abgelehnten Personengruppe zuordnen. Finanziert wird die Opferberatungsstelle über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und das Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit „DenkBunt“.