Nach fast drei Jahren fand heute der Prozess gegen den Neonazi Steven H. aus Saalfeld statt. Gemeinsam mit Maximilian W. hatte dieser am 15. April 2016 im Jugend- und Stadtteilzentrum in Saalfeld Gorndorf randaliert. Vorausgegangen waren Bedrohungen gegen einen Sozialarbeiter, der dort angestellt ist und sich beim Bündnis „Zivilcourage und Menschenrechte“ im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt (zumsaru) engagiert.
„Dieser Angriff gehört zu einer Serie rechter Angriffe gegen politisch Aktive und nicht-rechte bzw. alternative Menschen durch die organisierte Neonazi-Szene im Landkreis“ erklärt Franziska Schestak-Haase, die als Beraterin für Betroffene im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt Ansprechpartnerin ist. Als politisch Aktive gelten für die Beratungsstellen für Betroffene rechter Gewalt, Menschen, die sich unter anderem gegen Neonazis und für Menschenrechte engagieren. „Diese erleben seit Jahren eine von Bedrohung und Gewalt geprägte Stimmung. Dabei treten immer wieder dieselben Täter in Erscheinung. Betroffene berichten uns von regelrechten Verfolgungsjagden mittels Autos. Dabei sind konkrete Angriffe nur die Spitze des Eisbergs. Bei Veranstaltungen ist regelmäßig mit Provokationen, Bedrohungen und verbalen Attacken zu rechnen. Rechte Gewalt und derartige Situationen gehören für diese Menschen zum Alltag“, konstatiert die ezra-Beraterin.
Allein im Jahr 2018 registrierte ezra bisher 18 Angriffe durch Neonazis auf politisch Aktive und nicht-rechte bzw. alternative Menschen im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt. Damit wird der Landkreis in der jährlichen Statistik der Opferberatungsstelle einen traurigen Spitzenplatz in Thüringen einnehmen. Allein in den ersten zwei Wochen dieses Jahres erfasste ezra drei Angriffe auf politisch Engagierte im Landkreis. Hierzu betont Schestak-Haase: „Nur wenige Taten werden durch die Betroffenen bei der Polizei angezeigt, was auf das mangelnde Vertrauen in die Ermittlungsbehörden hinweist.“
„Statt medialer Aufmerksamkeit und Solidaritätsbekundungen für die Betroffenen wurden politisch Aktive vor Ort wie beispielsweise das Bündnis „Zivilcourage und Menschenrechte“ nach einem Chemikalien-Fund im März letzten Jahres auf das Schlimmste diffamiert. Spätestens nach Abschluss der Ermittlungen Ende August, in dem vom LKA ein politischer Hintergrund ausgeschlossen wurde, hätten wir von einzelnen demokratischen Akteuren wie von der Thüringer CDU mindestens eine Richtigstellung erwartet. Die zahlreichen rechten Angriffe müssen auch im Zusammenhang mit der üblen Nachrede von politischen Verantwortungsträger*innen gegen das Bündnis und engagierte Menschen gesehen werden, da rechte Gewalt so nicht nur bei den Täter*innen eine vermeintliche Legitimität erfährt. Die Betroffenen wie auch die politisch Engagierten vor Ort brauchen unsere Solidarität“, fordert Schestak-Haase abschließend.
ezra arbeitet in Trägerschaft der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Seit April 2011 unterstützt die Beratungsstelle Menschen, die angegriffen werden, weil Täter*innen sie einer von ihnen abgelehnten Personengruppe zuordnen. Finanziert wird die Opferberatungsstelle über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und das Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit „DenkBunt“.
Hintergrund:
Heute musste sich der Neonazi Steven H. vor dem Amtsgericht Rudolstadt wegen Sachbeschädigung und Diebstahl verantworten. Er wurde zu 30 Tagessätzen a 35 € verurteilt und muss die Gerichtskosten tragen. Ein politisches Tatmotiv wurde weder von der Staatsanwaltschaft noch vom Richter thematisiert. Das Verfahren gegen den Mittäter Maximilian W. ist bereits abgeschlossen. Die Neonazis Steven H. und Maximilian W. gehören neben Felix R. und anderen zur sogenannten „Anti-Antifa-Ostthüringen“. Die Struktur steht in geistiger als auch struktureller Nähe zur NSU-Vorläuferorganisation „Thüringer Heimatschutz“ um den Neonazi Tino Brandt. Maximilian W. und Felix R. beteiligten sich im Januar 2016 auch an dem massiven Angriff auf den Leipziger Stadtteil Connewitz. Beide werden sich dafür vor dem Amtsgericht Leipzig wiederfinden.