Im Verfahren gegen mutmaßliche Mitglieder bzw. Unterstützer der rechtsextremen Gruppierung Knockout 51 steht die Aussage des als Rädelsführer angeklagten Kevin N. im Fokus der Aufmerksamkeit. Die Opferberatung ezra stellt dieser Darstellung kontextualisierte Informationen entgegen und erinnert an die Erfahrungen von Betroffenen rechter Gewalt.
Seit April 2025 wird vor dem Oberlandesgericht Jena gegen Kevin N., Marvin W. und Patrick Wieschke (Die Heimat) verhandelt. Ihnen wird vorgeworfen, Mitglieder bzw. Unterstützer (Patrick Wieschke) der rechtsextremen Vereinigung Knockout 51 gewesen zu sein. Die Generalbundesanwaltschaft sieht in der Gruppe eine zunächst kriminelle und dann terroristische Vereinigung, die spätestens ab 2021 mit dem Ziel aktiv gewesen sein soll, politische Gegner*innen zu töten. Einzelne Aussagen des Angeklagten Kevin N., der sich am 21. Juli vor Gericht äußerte, fanden in den letzten Tagen öffentliches Interesse. Die Opferberatung ezra nimmt dies zum Anlass, um einige dieser Aussagen einzuordnen, Widersprüche aufzuzeigen und Hintergrundinformationen bereitzustellen, die zur Bewertung der Glaubwürdigkeit beitragen können.
„Wir halten es für zentral, dass die Aussagen eines Angeklagten, der in Verdacht steht, Teil einer möglicherweise rechtsterroristischen Vereinigung zu sein, nicht isoliert betrachtet werden. Es ist klar, dass der Angeklagte versucht, sich selbst zu entlasten. Gerade deshalb müssen die Angaben des Angeklagten durch bekannte Ermittlungsergebnisse, wissenschaftliche Erkenntnisse sowie die Erfahrungen der Betroffenen dieser extrem rechten Gewalt hinterfragt und kontextualisiert werden“, erklärt Theresa Lauß, Beraterin bei ezra.
Darstellung als Gewaltgegner steht im Widerspruch zur Realität
Kevin N. betonte mehrfach, Gewalt „grundsätzlich“ abzulehnen. Gleichzeitig berichtete er, dass er gemeinsam mit einem weiteren Knockout 51-Mitglied überlegt habe, in der Ukraine in der Fremdenlegion zu kämpfen – eine Aussage, die nicht hinterfragt wurde. Auch die Selbstdarstellung von Knockout 51 als unpolitische Sportgruppe widerspricht den Erkenntnissen der Strafverfolgungsbehörden sowie Aussagen weiterer Knockout 51-Mitglieder, die im Rahmen von Überwachungsmaßnahmen dokumentiert wurden.
So beschreibt Kevin N. Eisenach als „unsere Hood“, in der sich angeblich aber auch Linke oder Migrant*innen sicher fühlen könnten. Dies widerspricht den von Knockout-51 gefertigten meterhohen „Nazi-Kiez“ oder „NS-Zone“-Graffiti. Ein Plakat aus dem Umfeld von Knockout 51 verkündete zudem: „Nazi-Kiez – Wir dulden keine Zecken, Demokraten und Drogendealer.“ Gleichzeitig ist dokumentiert, dass in Eisenach wiederholt Drohungen, Angriffe und Einschüchterungen stattfanden – unter anderem mit Bezug auf Knockout 51. Ein Forschungsbericht des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (2021) beschäftigt sich intensiv mit den Strategien der rechten Raumnahme vor Ort.
Die Gewaltopferberatung ezra verzeichnet insbesondere im Zeitraum 2017 bis 2023 zahlreiche Angriffe auf politische Gegner*innen und Migrant*innen und beriet mehrere Personen, die von der brutalen Gewalt der Rechtsextremen betroffen waren. Kevin N. wurde zudem bereits 2019 u. a. wegen gefährlicher Körperverletzung gegenüber politischen Gegner*innen schuldig gesprochen.Dass Kevin N. in seiner Aussage auf der einen Seite ein Bild von „friedlichem Zusammenleben“ zeichnet und auf der anderen Seite immer wieder darauf beharrt, in „Notwehr“ gehandelt zu haben, steht in deutlichem Widerspruch zu diesen Erkenntnissen.
„Die Realität von Betroffenen rechter Gewalt wird zu oft ignoriert“, betont Lauß. „Wir halten es für essenziell, dass diese Perspektive stärker in öffentliche Debatten und Berichterstattung einfließt.“
Rechtsextreme Ideologie bleibt unterbelichtet
Während der Aussage am 21. Juli wurde nicht eingehend thematisiert, welche ideologischen Grundlagen die Gruppe Knockout 51 und ihre Mitglieder prägten – etwa die Ablehnung demokratischer Strukturen oder rassistische und antisemitische Feindbilder. Auch Hinweise auf politische Zielsetzungen, wie die sogenannte ‚Verteidigung‘ Europas gegen ‚illegale Migration‘, wurden nicht weiter vertieft. Kevin N. bagatellisierte vielmehr im Gericht gewaltvolle und menschenverachtende Sprache als „Humor“ oder „Gequatsche“ – eine bekannte Strategie der Entpolitisierung. Funde aus der Hausdurchsuchung – wie ein T-Shirt mit antisemitischem Motiv oder ein Exemplar von Hitlers Mein Kampf – wurden in der Befragung des Angeklagten nicht aufgegriffen.
„Wir beobachten eine Tendenz, die politische Dimension rechter Gewalt in Gerichtsverfahren und medialen Darstellungen zu entkoppeln“, erklärt Lauß. „Dabei ist im Strafgesetzbuch klar geregelt, dass u. a. eine rassistische Tatmotivation strafverschärfend wirken kann. Die brutalen Angriffe von Knockout-51 waren keine individuellen ‚Ausrutscher‘, sondern organisierter Ausdruck einer menschenfeindlichen Ideologie.“
Erinnerung an journalistische Sorgfaltspflicht
Die Aussage eines Angeklagten – zumal in einem Verfahren wegen mutmaßlicher Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung – ist nie neutral oder wertfrei. Sie bedarf Einordnung, Abgleich mit Ermittlungsergebnissen und Kontext. Die Aufgabe journalistischer und gesellschaftlicher Aufarbeitung endet nicht mit der bloßen Dokumentation von Prozessaussagen, sondern beginnt dort.
ezra stellt mit dieser Mitteilung ergänzende Informationen zur Verfügung, die eine umfassendere Auseinandersetzung mit dem Fall Knockout 51 ermöglichen. Eine ausführliche Dokumentation des Prozesses findet sich unter https://prozessdoku-thueringen.de.
ezra arbeitet in Trägerschaft des re:solut e.V. (Rundum engagiert: solidarische Unterstützung in Thüringen e.V.), einem selbstständigen Werk der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Seit April 2011 unterstützt die Beratungsstelle Menschen, die angegriffen werden, weil Täter*innen sie einer von ihnen abgelehnten Personengruppe zuordnen. Gefördert wird die Opferberatungsstelle im Rahmen des Bundesprogramms ‚Demokratie leben!‘ durch das Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend“ sowie über das Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit „DenkBunt“.
Die Veröffentlichung stellt keine Meinungsäußerung des TMSGAF oder des BMBFSFJ dar. Für inhaltliche Aussagen und Meinungsäußerungen tragen die Publizierenden dieser Veröffentlichung die Verantwortung.
Links/ Weiterführende Materialien
ezra-Pressemitteilung vom 20.02.2019: „Urteil im Prozess gegen Eisenacher Neonazis: Opferberatung und Betroffene begrüßen Verurteilung, kritisieren jedoch Nicht-Anerkennung des politischen Tatmotivs“. URL: https://ezra.de/urteil-im-prozess-gegen-eisenacher-neonazis-opferberatung-und-betroffene-begruessen-verurteilung-kritisieren-jedoch-nicht-anerkennung-des-politischen-tatmotivs/
Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft. 2021. „Rechtsextremismus in Eisenach. Kritische Bestandsaufnahme und Analyse“
URL: https://www.idz-jena.de/fileadmin/user_upload/Projektberichte/Forschungsbericht_Rechtsextremismus_in_Eisenach_Institut_für_Demokratie_und_Zivilgesellschaft.pdfBlog „Prozessdoku Thüringen“. URL: https://prozessdoku-thueringen.de