Opferberatung ezra und ISD Thüringen fordern nach brutalem rassistischen Angriff in Erfurt konsequente Bekämpfung von Rassismus, rechter Gewalt und Neonazismus auf allen gesellschaftlichen Ebenen

Nach dem brutalen rassistischen Angriff im Erfurter Stadtteil Südost/Herrenberg machen ezra, die Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen und die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland – Lokalgruppe Thüringen (ISD Thüringen) deutlich, dass es jetzt eine konsequente Bekämpfung von Rassismus, rechter Gewalt und Neonazismus auf allen gesellschaftlichen Ebenen benötigt. Dazu gehören die kontinuierliche Anerkennung und Thematisierung rechtsmotivierter Gewaltstraftaten in der Erfurter Stadtpolitik, die schnelle Ermittlung und Bestrafung der Täter*innen durch Ermittlungsbehörden und Justiz, ein Bleiberecht für Betroffene rassistischer Gewalt und ein Appell an die Erfurter Bürger*innen.

„Die rassistisch motivierte Gewaltbereitschaft sowie die scheinbare Akzeptanz von Teilen der Bevölkerung gegenüber rassistischen Einstellungen in Erfurt und zuletzt dem Stadtteil Herrenberg im Erfurter Südosten alarmieren uns als ISD, eine Warnung an People of Colour und Schwarze Personen auszusprechen“, erklärt Mirjam Elomda von ISD Thüringen. Erfurt ist in der Statistik von ezra seit Jahren die Region mit den meisten rechten und rassistischen Angriffen in Thüringen. Im Jahr 2019 gab es im Vergleich zum Vorjahr sogar noch einen Anstieg von 27 (2018) auf 31 (2019) rechtsmotivierte Gewaltstraftaten. ezra geht zusätzlich von einer höheren Dunkelziffer aus. Franz Zobel, Projektkoordinator der Thüringer Opferberatungsstelle, kritisiert: „Aufgrund dieser Zahlen, nach denen es mindestens alle zwei Wochen eine rechtsmotivierte Gewalttat in Erfurt gibt, hätte das schon längst zum Schwerpunkt in der Stadtpolitik gemacht werden müssen.“

Kritik übt Zobel an den Thüringer Ermittlungsbehörden und der Justiz, die wiederholt Täter freigelassen haben, die den Tod von Menschen bewusst in Kauf nahmen und der organisierten Neonazi-Szene zugerechnet werden müssen. „Es muss endlich damit Schluss sein, dass bei solchen brutalen Neonazi-Angriffen nur ungenügend aufgeklärt, Haftanträge nicht gestellt, Verfahren verschleppt oder eingestellt werden. Es braucht schnelle Ermittlungen durch die Polizei, Haftanträge von Staatsanwaltschaften und beschleunigte Gerichtsverfahren, um den rechten Gewalttäter*innen und ihrer Szene zu signalisieren, dass ihre Taten Konsequenzen haben. Nur so wird verhindert werden können, dass diese weiter versuchen, Menschen zu Tode zu prügeln.“

Seit Jahren fordern ezra und die Opferberatungsstellen, die im Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG e.V.) zusammengeschlossen sind, ein Bleiberecht für Betroffene rassistischer Angriffe. Mit diesem würde ein effektives Mittel geschaffen werden, welches rassistischer Gewalt entgegenwirkt, weil es das Ziel der Täter*innen, Menschen aus Deutschland durch Terror und Gewalt zu vertreiben, ins Gegenteil verkehrt. Geflüchtete und Menschen ohne einen gesicherten Aufenthaltsstatus würden dadurch zudem entlastet werden, weil die Restriktionen des Asyl- und Aufenthaltsrechts die Folgen der rassistischen Angriffe für die Betroffenen noch verschärfen. „Der Thüringer Duldungserlass durch das Justizministerium ist eher eine Mogelpackung als eine Bleiberechtsregelung. Anträge werden nicht gestellt, weil u.a. hohe Voraussetzungen gelten und eine Duldung nach 6 Monaten erneut beantragt werden muss. Kurzfristig wird eine Überarbeitung des Erlasses und ferner eine bundeseinheitliche Regelung benötigt“, so Franz Zobel.

Der VBRG e.V. hat eine Stellungnahme zum Entwurf zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes „Aufenthaltsrecht für Opfer rechter Gewalt“ veröffentlicht, der Thema im Innenausschuss des Bundestages war. Die Stellungnahme gibt es hier zum nachlesen:

Stellungnahme des VBRG e.V. zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes – Aufenthaltsrecht für Opfer rechter Gewalt (Drucksache 19/6197) [PDF]

Zudem macht Mirjam Elomda zur Situation in Erfurt deutlich, dass „derartigen Verbrechen und eskalierender Gewalt Einhalt geboten werden kann, wenn der Aufbau rassistischer Strukturen in der unmittelbaren Nachbarschaft nicht billigend in Kauf genommen wird. Wir appellieren an alle Erfurter Bürger*innen, eine konsequente Bekämpfung von Rassismus zu unterstützen. Das bedeutet auch rechter Gesinnung und rassistischer Hetze keinerlei Akzeptanz im Alltag entgegenzubringen.“ Abschließend stellt die ISD-Vertreterin die hervorragende Arbeit einiger sozialer Träger und Nachbarschaftseinrichtungen in Erfurt Südost heraus, „welche ein alternatives Angebot schaffen und sich so für ein demokratisches Zusammenleben einsetzen und aktiv gestalten.“

Die ISD Thüringen als lokale Formation der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD-Bund e.V.) setzt sich seit 2018 aktiv antirassistisch, intersektional und partizipativ für die (Menschen-)Rechte Schwarzer Personen in Thüringen ein. In Abgrenzung zu einer weißen Mehrheitsgesellschaft ist dabei ein wichtiger Bestandteil die Organisation regelmäßiger Treffen und Veranstaltungen für Schwarze Menschen mit der Möglichkeit individuelle Themen und Erfahrungen, in einer weitgehend diskriminierungsfreien Atmosphäre zu teilen.

ezra arbeitet in Trägerschaft der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Seit April 2011 unterstützt die Beratungsstelle Menschen, die angegriffen werden, weil Täter*innen sie einer von ihnen abgelehnten Personengruppe zuordnen. Finanziert wird die Opferberatungsstelle über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und das Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit „DenkBunt“.