Opferberatung ezra fordert nach erneuten Morddrohungen gegen Landtagsabgeordnete: „Ermittlungsbehörden und Justiz müssen rechtsterroristische Drohungen endlich ernst nehmen und konsequente Strafverfolgung betreiben.“

Wie am 16. Juli 2019 durch „Report München“ öffentlich bekannt wurde, kam es erneut zu Morddrohungen in einem Song der Neonazi-Band „Erschießungskommando“ gegen die Thüringer Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss (DIE LINKE). Erst im Jahr 2016 hatte dieselbe Band der Politikerin und ihrem Vater, dem Jenaer Stadtjugendpfarrer Lothar König, mit dem Tod gedroht, indem sie ihren menschenverachtenden Tötungsphantasien freien Lauf ließen. Nach Recherchen des Polit-Magazins des Bayrischen Rundfunks konnten bis heute weder die Täter*innen identifiziert werden, noch wurde durch eine Strafverfolgungsbehörde ein Strafverfahren eingeleitet.

„Die inkonsequente Strafverfolgung durch Ermittlungsbehörden und Justiz ist mitverantwortlich für den seit Jahren anhaltenden rechten, rassistischen und antisemitischen Terror, der von bewaffneten Neonazi-Netzwerken ausgeht. Rechtsterroristische Drohungen müssen endlich ernst genommen und eine konsequente Strafverfolgung betrieben werden. Das Thüringer Innenministerium muss dafür Sorge tragen, dass alle Betroffenen aus Thüringen, die auf sogenannten Todeslisten von rechtsterroristischen Gruppen wie Nordkreuz genannt werden, über ihre Bedrohungslage informiert werden“, erklärt Franz Zobel von ezra, der Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen.

Im Fokus von militanten Neonazis stehen unter anderem Politiker*innen und zivilgesellschaftlich Engagierte als politische Gegner*innen. Diese waren 2018 in Thüringen nach Rassismus-Betroffenen die zweitgrößte Betroffenengruppe rechter Gewalt. Schwerpunktregionen sind der Landkreis Saalfeld-Rudolstadt (20) und Eisenach (13). „Betroffene berichten uns immer wieder, dass sie aufgrund von schlechten Erfahrungen mit den Ermittlungsbehörden, zu welchen Polizei und Staatsanwaltschaften zählen, kein Vertrauen in die Strafverfolgung haben. [1] Geringe Strafen und schleppende Strafverfahren durch die Justiz werden als zusätzliche Enttäuschung in den Rechtsstaat erlebt. Statt diese Erfahrungen als Einzelfälle zu verharmlosen, sollte spätestens seit dem Bekanntwerden politisch motivierter Ermittlungen durch den Geraer Staatsanwalt Martin Zschächner klar sein, dass auch ein institutionelles Problem besteht“, kritisiert Zobel.

Als prominentes Beispiel für das Versagen der Thüringer Ermittlungsbehörden und Justiz gilt beispielsweise die Strafverfolgung im Fall des brutalen Angriffs auf zwei Journalisten im April 2018 in Fretterode. Trotz eindeutiger Zeugenaussagen, Identifizierung der Angreifer durch die Betroffenen und Fotos, die vom Angriff vorlagen, kamen die Täter nicht in Untersuchungshaft und sind bis heute auf freiem Fuß. Einer der Täter, Nordulf H., der Sohn von Neonazi Thorsten Heise, lebt trotz fertiger Anklageschrift in der Schweiz. Laut Informationen der „Thüringer Allgemeine“ wird es eine Verhandlung nicht vor 2020 geben. Die Beratungsstelle ezra und der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG e.V.) haben diese Verschleppung schon mehrfach als Ausdruck des wohl weiterhin geltenden Prinzips „Quellenschutz vor Strafverfolgung“ scharf kritisiert.

Als ähnlich problematisch betrachtet die Opferberatungsstelle Urteilssprüche von Gerichten, welche den Tatkontext rechter Gewalt bagatellisieren oder erst gar nicht thematisieren, indem Täter*innen beispielsweise – wie im Fall des verurteilten Eisenacher Neonazis Kevin N. – „jugendtypisches Verhalten“ attestiert wird. Kevin N. hatte in einem Prozess zu Anfang des Jahres, in welchem er sich u.a. wegen mehrfacher Körperverletzung verantworten musste, aus seiner Vernetzung in die internationale Neonazi-Szene keinen Hehl gemacht. Er prahlte beispielsweise mit seiner Teilnahme an einem Schießtraining in der Tschechischen Republik. Kevin N. ist für zahlreiche Angriffe auf politisch Gegner*innen in Eisenach verantwortlich.

„Nicht erst die Ermordung von Walter Lübcke hat gezeigt, wie real die tödliche Dimension rechter Ideologie ist. Rechter Terror und Gewalt müssen als Botschaft verstanden werden. Gemeint sind alle, die sich beispielsweise gegen Rechts und für Menschenrechte engagieren. Wir rufen zu Solidarität mit allen Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt auf“, fordert Franz Zobel abschließend.

ezra arbeitet in Trägerschaft der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Seit April 2011 unterstützt die Beratungsstelle Menschen, die angegriffen werden, weil Täter*innen sie einer von ihnen abgelehnten Personengruppe zuordnen. Finanziert wird die Opferberatungsstelle über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und das Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit „DenkBunt“.

 

 

[1] Dies konnte bereits 2014 mit einer wissenschaftlichen Befragung von Betroffenen untermauert werden. ezra (Hrsg.): Die haben uns nicht ernst genommen. Eine Studie zu Erfahrungen von Betroffenen rechter Gewalt mit der Polizei.