Offener Brief an den Bundestagsabgeordneten Tankred Schipanski (CDU)

An dieser Stelle veröffentlichen wir einen offenen Brief von Christina Büttner (Stellvertretende Projektkoordination von ezra) an den Bundestagsabgeordneten Tankred Schipanski (CDU).

Sehr geehrter Herr Schipanski,

mit Bezugnahme auf Ihre Rede im Deutschen Bundestag am 14. November 2014 (18. Wahlperiode – 67. Sitzung) freuen wir uns, dass Sie unsere Studie zu den Erfahrungen von Opfern rechter Gewalt mit der Polizei erwähnen und das Anliegen der Studie hinsichtlich der Konsequenzen unterstützen.

Allerdings sehen wir uns auch gezwungen, inhaltliche Kritik an der Kontextualisierung Ihrer Ausführungen zu üben. Zunächst sind wir keine Opferberatung für Opfer „extremistischer Gewalt“, wie von Ihnen dargestellt, sondern explizit eine mobile Beratung für Opfer von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen. Dieser entscheidende Unterschied ist grundlegend für die Bestimmung unseres Arbeitsfeldes, denn unser spezifisches Beratungs- und Begleitungsangebot bezieht sich eben nicht auf alle Erscheinungsformen, die der sogenannte „Extremismusbegriff“ impliziert. Die Opferperspektive von Betroffenen rechter Gewalt ernst nehmen heißt im Besonderen, den dezidiert rechts-motivierten Tathintergrund ernst zu nehmen und nicht mit anderen Erscheinungsformen von politischer Gewalt beliebig gleichzusetzen. Dies war u. a. ein ausschlaggebender Impuls für unsere Studie „Die haben uns nicht ernst genommen. Erfahrungen von Betroffenen rechter Gewalt mit der Polizei“. Die entsprechenden Ergebnisse liegen Ihnen vor.

Darüber hinaus distanzieren wir uns von einem Erklärungsmodell, das nach unserer Auffassung die Entstehung sowie Phänomenologie extrem politischer Einstellungs- als auch Handlungsebenen verkürzt interpretiert und somit Bedingungen einer gesamtgesellschaftlichen Problematik ignoriert. Die Erkenntnisse populärer Demoskopien wie der Thüringen-Monitor auf Landesebene oder die Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung zu Einstellungsmustern in der bundesdeutschen Bevölkerung untermauern diese kritische Position. Gerade die Aufarbeitung des Behördenversagens der NSU- Mordserie hat deutlich gemacht, welche tiefgreifenden Folgen dieser vorherrschende Erklärungsansatz bis hinein in staatliche Institutionen hatte. Insofern halten wir eine kritische Reflektion zum „Extremismusbegriff“ im Sinne der Betroffenen von rechter Gewalt für dringend erforderlich.

Mit freundlichen Grüßen

Christina Büttner

Stellvertretende Projektkoordination

Das Antwortschreiben von Herrn Schipanski gibt es hier zum Download.