Die Pressemappe mit Pressemitteilung und Grafiken gibt es als PDF-Datei hier zum Download. Die Pressemitteilung ist verfügbar in den Sprachen: Englisch [English], Ukrainisch [українська], [فارسی] Farsi und [عربي] Arabisch.
Am heutigen Mittwoch veröffentlichte die fachspezifische Betroffenenberatungsstelle ezra ihre Jahresstatistik des unabhängigen Monitorings zu rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen für das Jahr 2022. Es wurden insgesamt 180 Fälle registriert, von denen mindestens 374 Menschen direkt betroffen oder mit-angegriffen waren. Durchschnittlich waren dies drei Angriffe pro Woche mit mindestens sieben Betroffenen.
Dazu erklärt Franz Zobel, Projektkoordinator bei ezra: „Wir haben es in Thüringen mit einer neuen Welle rechter und rassistischer Gewalt zu tun, die sich bereits 2021 abzeichnete. Das ist die höchste Zahl an Angriffen, die je durch ein unabhängiges Monitoring im Freistaat registriert wurde.“ Alarmierend ist für Zobel vor allem der erneute Anstieg bei Kindern und Jugendlichen, die von diesen Gewalttaten betroffen waren. Im Vergleich zu 2021 hat sich die Zahl nahezu verdoppelt. Insgesamt waren im vergangenen Jahr mindestens 103 Mal Kinder und Jugendliche betroffen.
Einen wesentlichen Grund für den Anstieg bei rechtsmotivierten Gewalttaten in 2022 um rund 45 Prozent im Vergleich zum Vorjahr sieht der ezra-Projektkoordinator in der Mobilisierung der extremen Rechten: „Wie 2015 sind extrem rechte Mobilisierungen für eine Eskalation von rechter Gewalt verantwortlich. Diese waren fast jeden Montag Ausgangspunkt für rechte Hetze, Beschimpfungen, Bedrohungen und Gewalt. Besorgniserregend ist die starke Zunahme bei Angriffen auf Journalist:innen, die die Pressefreiheit in Thüringen weiter eingeschränkt haben.“ Fast ein Viertel aller Angriffe wurde bei Demonstrationen registriert, hinter denen extrem rechte Einzelpersonen und Netzwerke aus sogenannten „Querdenkern“, AfD, Neonazis und Reichsbürgern standen. Diese Angriffe richteten sich zum größten Teil gegen Journalist:innen. Außerdem standen vermeintlich politische Gegner:innen im Fokus der zum großen Teil rechten Demonstrant:innen. Angriffe auf Journalist:innen haben sich mehr als verdreifacht (27 Fälle). Rechte Gewalt gegen vermeintlich politische Gegner:innen hat sich verdoppelt (38 Fälle).
Wie die Jahre zuvor bleibt Rassismus mit 88 Fällen das häufigste Tatmotiv. Vor allem zum Ende des Jahres nahm rassistische Gewalt zu. In diesem Zeitraum wurde in einigen Monaten nahezu jeden zweiten Tag ein rassistischer Angriff in Thüringen registriert. Dazu macht Franziska Schestak-Haase, langjährige Beraterin bei ezra, deutlich: „In unserer statistischen Auswertung ist ein Zusammenhang mit der rassistischen Stimmungsmache durch AfD, aber auch Politiker:innen demokratischer Parteien offensichtlich. Die Situation für migrantisierte Menschen hat sich weiter verschärft. Dabei liegt unter der Gewalterfahrung die alltägliche Konfrontation mit Rassismus. In der Beratung haben uns Eltern erzählt, dass ihre Kinder nach der Ankunft in Thüringen als erste deutsche Worte ‚Ausländer raus‘ durch andere Kinder in der Schule gelernt haben.“
Mit Blick auf 2023 warnt Zobel davor, dass die Lage jederzeit weiter eskalieren kann: „Letztendlich wird das von dem Erfolg extrem rechter Mobilisierung abhängen. Rassistische Stimmungsmache wird diese weiter verstärken. Hinzu kommt eine zunehmende Hetze gegen LGBTIQ* und eine demokratische, antifaschistische Zivilgesellschaft.“ Vom Thüringer Innenminister erwartet Zobel, dass dieser endlich einen Vorschlag für eine gemeinsame Strategie eines glaubhaften Paradigmenwechsels in Ostdeutschland in der Strafverfolgung rechter Gewalttaten und im Umgang mit rechten Aufmärschen präsentiert. Diese wurde Ende letzten Jahres nach der Tagung der ostdeutschen Innenminister:innen in Erfurt versprochen. Dazu hatte der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG e.V.) acht notwendige Maßnahmen vorgeschlagen. Fast ein halbes Jahr danach gibt es keine weiteren Verlautbarungen.
Für Rückfragen stehen Ihnen Franz Zobel (franz.zobel@ezra.de) und Franziska Schestak-Haase (franziska.schestak-haase@ezra.de) zur Verfügung.
Hinweis:
In die Statistik werden nur die Fälle aufgenommen, bei denen anhand fester Kriterien, die durch den Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V. (VBRG) als Qualitätsstandards gesetzt wurden und die sich an der Definition des Bundeskriminalamts zu „Politisch motivierter Kriminalität – rechts“ orientieren, ein rechtes Tatmotiv erkennbar ist. Nicht alle Fälle, die in der ezra-Chronik veröffentlicht werden, fließen in die Statistik ein und umgekehrt.
Die Presseerklärung des VBRG e.V. anlässlich der Tagung der ostdeutschen Innenminister:innen in Erfurt am 4.11.2022, in der acht notwendige Maßnahmen für einen glaubhaften Paradigmenwechsel gefordert werden, finden Sie hier: https://verband-brg.de/presseerklaerung-des-vbrg-paradigmenwechsel-im-kampf-gegen-neue-welle-rassistischer-gewalt/
ezra arbeitet in Trägerschaft der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Seit April 2011 unterstützt die Beratungsstelle Menschen, die angegriffen werden, weil Täter*innen sie einer von ihnen abgelehnten Personengruppe zuordnen. Finanziert wird die Opferberatungsstelle über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und das Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit „DenkBunt“.
Veranstaltungsankündigung:
Kaltland Talk: Erlebte Eskalation – Perspektiven auf rechte, rassistische und antisemitische Gewalt 2022 in Thüringen
Am 19.04.2023 um 19 Uhr lädt ezra nach Erfurt ins Theater im Palais (Michaelisstraße 30) ein, um gemeinsam mit Masuma Jafari (Aktivistin und Antirassismusberaterin), Merlin Müller (betroffener Journalist im Fretterode-Prozess), Kristin Pietrzyk (Rechtsanwältin und Nebenklagevertreterin) und einem interessierten Publikum die Ergebnisse des unabhängigen Monitorings von ezra zu diskutieren. Für Fragen und weitere Informationen wenden Sie sich gerne an Svenja Berndt unter presse@ezra.de.