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Seit der rassistischen Mobilisierung im Jahr 2015 durch beispielsweise „Thügida“ und AfD hat ezra, die Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen, 713 rechtsmotivierte Angriffe gezählt. Im Vergleich zu 2018 (166) registrierte die Thüringer Opferberatungsstelle für das Jahr 2019 einen Rückgang auf 108 Fälle rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Das häufigste Tatmotiv bleibt Rassismus, gefolgt von Angriffen gegen politische Gegner*innen. Die meisten Angriffe wurden wieder in Erfurt, Jena und im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt gezählt. Insgesamt waren mindestens 155 Menschen in 2019 von rechter Gewalt in Thüringen betroffen.
„Auch 2019 bleibt rechte Gewalt in Thüringen auf dem erschreckend hohen Niveau der letzten Jahre und liegt damit weitaus höher als in den Jahren vor 2015. Die Gefahr von rechtsterroristischen Anschlägen ist extrem hoch. Der Rückgang zum Vorjahr ist mit Vorsicht zu bewerten“, warnt Franz Zobel, Projektkoordinator von ezra. Die Opferberatungsstelle geht von einer hohen Dunkelziffer aus. Ein Grund hierfür wird in der zunehmenden Normalisierung rechter und rassistischer Gewalt gesehen. Diese kann insbesondere bei fehlenden Konsequenzen für die Täter*innen zu Resignation bei den Betroffenen sowie Vertrauensverlust gegenüber Ermittlungsbehörden und Justiz führen, wodurch zum Beispiel Angriffe erst gar nicht zur Anzeige gebracht werden. Hinzu kommt „ein Klima der Angst, welches durch konkrete Erfahrungen im Alltag geprägt ist, wie rassistische Beleidigungen auf der Straße oder rechte Hetze im Internet, die in keiner Statistik in Thüringen erfasst werden“, ergänzt der Projektkoordinator.
Festzuhalten bleibt, „dass rechte und rassistische Gewalt seit Jahren eskalieren und entsprechende Konsequenzen nicht gezogen wurden. Als Antwort auf die schwerwiegende Krise für Demokratie und Menschenrechte braucht es jetzt dringend eine parteiübergreifende Allianz, die die Perspektiven und Forderungen der Betroffenen in den Mittelpunkt stellt und endlich konkrete Maßnahmen umsetzt“, fordert Zobel. Viele der Forderungen von Betroffenen finden sich in den Handlungsempfehlungen der beiden Thüringer NSU-Untersuchungsausschüsse und der Enquetekommission „Rassismus und Diskriminierung“ wieder, die zum großen Teil bis heute nicht umgesetzt wurden. Der ezra-Projektkoordinator spricht von einem „Reformstau, den zahlreiche Menschen tagtäglich auf grausame Art und Weise zu spüren bekommen.“
Ein weiteres Problem sieht die Opferberatungsstelle in der mangelnden Rechtsdurchsetzung durch Ermittlungsbehörden und Justiz. Wenn beispielsweise sechs Jahre nach dem brutalen Angriff durch militante Neonazis auf eine Kirmesgesellschaft im Februar 2014 in Ballstädt noch keine*r der verurteilten Täter*innen in Haft sitzt, „ist das nicht nur für die Betroffenen eine enorme Belastung, sondern signalisiert organisierten Rassist*innen und Neonazis, dass sie keine Konsequenzen für ihre Taten zu befürchten haben“, erklärt Zobel.
Abschließend wirbt Zobel für mehr Solidarität mit den Betroffenen von Rassismus, Antisemitismus, rechter Hetze und Gewalt. Es brauche „eine Kultur der Solidarität, die den Betroffenen in diesen Zeiten Hoffnung gibt, wodurch sie konkrete Unterstützung erfahren“, appelliert der Projektkoordinator an die Verantwortung jedes*r Einzelnen. Diese habe sich zum Beispiel nach den Ereignissen am 5. Februar im Thüringer Landtag oder dem rechtsterroristischen Anschlag in Hanau an verschiedenen Orten in Thüringen gezeigt.
In die Statistik von ezra werden nur die Fälle aufgenommen, bei denen anhand fester Kriterien, die durch den Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V. (VBRG) als Qualitätsstandards gesetzt wurden und die sich an der Definition des Bundeskriminalamts zu „Politisch motivierter Kriminalität – rechts“ orientieren, ein rechtes Tatmotiv erkennbar ist. Nicht alle Fälle, die in der ezra-Chronik veröffentlicht werden, fließen in die Statistik ein und umgekehrt.
ezra arbeitet in Trägerschaft der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Seit April 2011 unterstützt die Beratungsstelle Menschen, die angegriffen werden, weil Täter*innen sie einer von ihnen abgelehnten Personengruppe zuordnen. Im Jahr 2019 wurden 176 Menschen von ezra beraten. Finanziert wird die Opferberatungsstelle über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und das Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit „DenkBunt“.