Einstellung und Freispruch im Prozess zum bewaffneten Neonazi-Angriff auf das AJZ Erfurt 2016: ezra und MOBIT sehen in Straflosigkeit für Neonazis einen Grund für weitere Eskalation rechter Gewalt

Am gestrigen Dienstag, dem 24.11.2020, fand am Amtsgericht Erfurt der dritte Verhandlungstag im Prozess zum bewaffneten Neonazi-Angriff auf das örtliche Autonome Jugendzentrum (AJZ Erfurt) im Mai 2016 statt. Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung einigten sich darauf, dass das Verfahren gegen einen Angeklagten eingestellt und der andere freigesprochen wird – damit endet das Verfahren vorzeitig. Theresa Lauß, Beraterin bei ezra, der Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen spricht von einem „zusätzlichen Schlag ins Gesicht der Betroffenen. Wieder bleibt ein solch brutaler Angriff für militante, organisierte Neonazis ohne Konsequenzen. Die Straffreiheit für Neonazis schafft ein Klima, in der rechte Gewalt eskaliert, weil die Täter sich sicher fühlen können.“

Auch Sandro Witt, Vorstandsvorsitzender von MOBIT e.V., zeigt sich verständnislos über den Ausgang des Verfahrens: „Fehlende juristische Konsequenzen werden von Neonazis als Freifahrtschein für ihre Gewalt verstanden. Das zeigt sich auch daran, dass Angeklagte aus dem AJZ-Verfahren im Sommer 2020 mutmaßlich erneut an einem brutalen Überfall an der Thüringer Staatskanzlei beteiligt waren.“ Erfurt steht seit Jahren an der Spitze der Statistik rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalttaten in Thüringen und fiel besonders in den letzten Monaten durch brutale Angriffe durch organisierte Neonazis auf.

Als primärer Grund für Einstellung und Freispruch wurde angeführt, dass den Angeklagten keine entsprechenden Tathandlungen nachgewiesen werden konnten. Dies lag laut Gericht und Staatsanwaltschaft auch an widersprüchlichen Aussagen der geladenen Zeug*innen. „Nach viereinhalb Jahren kann von den Betroffenen nicht erwartet werden, dass diese einen Angriff detailgenau wiedergeben können. Schuld ist das jahrelang verschleppte Verfahren, das nur den Tätern zugute kam, die von den verblassenden Erinnerungen profitiert haben“, stellt Theresa Lauß von ezra klar. Zudem bleiben Fragen zu den vorangegangenen Ermittlungen offen: Von der Staatsanwaltschaft wurde im Verfahren mehrfach betont, dass mehr als zwei Personen auf der Anklagebank sitzen müssten. Gegen sieben der neun ermittelten mutmaßlichen Täter wurde das Verfahren noch vor dem Gerichtsprozess eingestellt. „Die Gründe hierfür sind nicht vollumfänglich bekannt, allerdings trägt dies dazu bei, dass der Eindruck entsteht, dass der Überfall vom Rechtsstaat vollkommen konsequenzlos hingenommen wird“, erklärt die ezra-Beraterin abschließend.

ezra arbeitet in Trägerschaft der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Seit April 2011 unterstützt die Beratungsstelle Menschen, die angegriffen werden, weil Täter*innen sie einer von ihnen abgelehnten Personengruppe zuordnen. Finanziert wird die Opferberatungsstelle über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und das Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit „DenkBunt“.