Wir gedenken dem Brandanschlag auf die Erfurter Synagoge vor 20 Jahren…

Am späten Abend des 20. April 2000 beschlossen drei Neonazis die Erfurter Synagoge in Brand zu setzen. Kurz nach 22 Uhr warfen sie einen Molotowcocktail an die Rückseite der Synagoge. Im obersten Stockwerk des Gebäudes lag die Wohnung des damaligen Vorsitzenden der Jüdischen Landesgemeinde in Thüringen, Wolfgang Nossen. In der ebenfalls im Gebäude befindlichen Gästewohnung war ein Gastrabbiner untergebracht. Der Brandsatz verfehlte nur knapp die Fensterscheibe des Wohnzimmers. Couragierte Anwohner_innen konnten das Feuer rechtzeitig löschen, so dass niemand ernsthaft in Gefahr war. Obwohl die Täter ein Bekennerschreiben am Tatort hinterließen, das unverkennbar auf rechten Antisemitismus hindeutete, sprach das Landeskriminalamt damals öffentlich auch einen Verdacht gegen linke Gruppen aus. Dieser bestätigte sich nicht, denn relativ schnell wurden drei Verdächtige im Alter von 17 und 18 Jahren ermittelt und festgenommen, die vorbestraft und eindeutig der Thüringer Neonaziszene als auch der rechtsextremen Partei NPD zuzuordnen waren. Bereits im Juli 2000 wurden zwei der Täter zu milden Haftstrafen verurteilt. Gegen den dritten Täter wurde lediglich eine Bewährungsstrafe verhängt. 

Für Wolfgang Nossen kam der Anschlag nicht überraschend, denn er kannte den Antisemitismus der Neonazis durch die traurige Normalität von Hassbotschaften, mit der die Landesgemeinde schon damals konfrontiert war. Zwar wurde bei dem Brandanschlag niemand physisch verletzt, doch die Botschaft des Anschlags offenbarte nicht nur den Jüdinnen und Juden in Thüringen wieder einmal die antisemitische Wirklichkeit in der post-nazistischen Demokratie und das jahrzehntelange Versagen dem etwas Wirksames entgegenzusetzen. Besonders für diejenigen, die das Grauen der Shoah überlebt hatten und die mörderische Entwicklung des Antisemitismus in Deutschland noch aus der eigenen Biografie kannten, war der 20. April 2000 eine traumatische Erfahrung, die unvermeidlich Parallelen aus der Vergangenheit wieder in das Gedächtnis rief. 

Die sichtbare Kontinuität des Antisemitismus in den letzten Jahren und ihr vorläufiger Höhepunkt, der antisemitische und rassistische Anschlag eines Rechtsterroristen in Halle im Oktober vergangenen Jahres, hat Staat, Politik und Gesellschaft erneut schmerzlich vorgeführt, dass auch heute 20 Jahre nach dem Brandanschlag auf die Erfurter Synagoge jüdisches Leben und Judentum in Deutschland weder sicher noch selbstverständlich sind. Neben der staatlichen Garantie für Sicherheit bleibt es vor allem eine politische und zivilgesellschaftliche Verpflichtung sich dem aktuellen Antisemitismus, egal aus welcher politischen, religiösen oder anderen ideologischen Denkweise er sich manifestiert, konsequent entgegenzutreten und sich mit Jüdinnen und Juden bedingungslos solidarisch zu zeigen. Gegen jeden Antisemitismus!

Ab 18 Uhr veröffentlichen wir hier wie auch in den sozialen Medien bei Twitter, Instagram, Youtube und in der Facebook-Veranstaltung „Gegen jeden Antisemitismus – Online-Gedenken“ Video-Statements im Gedenken an den Brandanschlag auf die Erfurter Synagoge vor 20 Jahren.

Hinweis: Die Videos werden in zeitlichen Abständen öffentlich. Dafür ist eine Aktualisierung („Aktuelle Seite neu laden“) der Seite notwendig.

„Thüringen hat viel gegen Antisemitismus getan und hat viel erreicht – dennoch hat der Antisemitismus zugenommen.“ Zu dieser beunruhigenden Einschätzung kommt der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde Prof. Dr. Reinhard Schramm in seiner Videobotschaft:

Probst Dr. Christian Stawenow von der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) fordert in seinem Statement mehr politische Bildungsarbeit und Empathie als Strategie gegen Antisemitismus:

„Ich spreche von Freude über die Juden, die in Thüringen und in Erfurt leben.“ Der Videobeitrag für das Online-Gedenken zum Brandanschlag vor 20 Jahren auf die Erfurter Synagoge des Bischofs Dr. Ulrich Neymeyr vom Bistum Erfurt:

Für Dr. Franziska Schmidtke von der Deutsch-Israelischen-Gesellschaft Erfurt ist der Kampf gegen Antisemitismus nicht nur die Voraussetzung für die Solidarität zur Jüdischen Landesgemeinde, sondern auch für die Verbundenheit mit dem Staat Israel:

Die wissenschaftliche Referentin mit dem Arbeitsschwerpunkt Antisemitismus des IDZ Jena, Anja Thiele, weist in ihrer Videobotschaft auf die Notwendigkeit hin, den modernen Antisemitismus weiter zu erforschen, um den aktuellen Antisemitismus in seinen latenten Erscheinungsformen erkennen und bekämpfen zu können:

„In den Veranstaltungen setzen wir uns auch mit dem aktuellen Antisemitismus auseinander.“ Das DGB-Bildungswerk Thüringen organisiert seit 20 Jahren Stadtrundgänge zur nationalsozialistischen Lokalgeschichte und leistet damit einen wichtigen Beitrag für die Verantwortung an die Erinnerung und die Gegenwart:

Die Forderungen der Betroffenen von Antisemitismus müssen ernstgenommen werden, macht Franz Zobel, Projektkoordinator von ezra, in seinem Statement klar. Für die Betroffenenperspektive ist nicht nur der Schutz von jüdischen Leben und des Judentums in Thüringen entscheidend, sondern vor allem die gesellschaftliche Solidarität mit Jüdinnen und Juden:

Der Vorstandsvorsitzende von MOBIT e. V., Sandro Witt, erklärt in seiner Videobotschaft, wie als Reaktion auf den Brandanschlag auf die Erfurter Synagoge das Projekt MOBIT entstanden ist und warum diese Beratungsarbeit im Kampf gegen Neonazis und AFD so wichtig ist:

Am Ende des Online-Gedenkens lädt Alexander Nachama, Rabbiner der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen, mit dem Gebet „Sim Shalom“ zum Innehalten ein: