Urteil im Ballstädt-Prozess: Keine Gerechtigkeit für die Betroffenen des brutalen Neonazi-Überfalls

Zum heutigen Urteilsspruch des Landgerichts Erfurt im sogenannten Ballstädt-Prozess, bei dem der brutale Neonazi-Angriff auf eine Feier der Kirmesgesellschaft in Ballstädt im Februar 2014 neu verhandelt wurde und bei dem elf Menschen zum Teil schwer verletzt wurden, erklärt Franz Zobel, Projektkoordinator von ezra, der Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen:

„Siebeneinhalb Jahre warteten die Betroffenen auf Gerechtigkeit. Mit dem heutigen Urteil steht fest, dass es diese für sie nicht geben wird. Der gesamte Prozess steht symbolisch für das massive Problem der Thüringer Justiz im Umgang mit rechtsmotivierten Straftaten.“ Zivilgesellschaftliche Organisationen wie ezra sprechen seit Monaten von einem Justizproblem in Thüringen. Immer wieder werden in Fällen von rechter und rassistischer Gewalt Verfahren über Jahre verschleppt. Davon profitieren vor allem die rechten Gewalttäter:innen, die dann milde Strafen erhalten oder gegen die die Verfahren ganz eingestellt werden. Zudem wird die rechte Tatmotivation nur selten berücksichtigt.

„Die sechste Strafkammer des Landgerichts Erfurt hat die Ignoranz gegenüber den Betroffenen auf die Spitze getrieben. Sie und ihre Rechtsanwält:innen wurden zu Zuschauer:innen eines Deals zwischen Gericht, Verteidigung und Staatsanwaltschaft degradiert. Nicht mal der Wunsch der Betroffenen nach einer professionellen, psychosozialen Prozessbegleitung wurde durch die vorsitzende Richterin berücksichtigt. Der Eindruck, der bei den Betroffenen die ganze Zeit bestand, dass das Uƒrteil von Anfang an feststand, wurde durch die einseitige Verfahrensführung von Richterin Rathemacher bestätigt“, erklärt der Projektkoordinator. Hinsichtlich der Überlegungen des Gerichts, aus den im Prozess verhangenen Geldstrafen einen Fonds für die Verletzten einzurichten, gab es ein Angebot von ezra und dem Projektträger, der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, diesen organisatorisch zur Verfügung zu stellen, da die Betroffenen von der fachspezifischen Opferberatung seit Jahren betreut und begleitet werden. Dieses wurde vollständig ignoriert und damit abermals ein Wunsch der Betroffenen übergangen.

Abschließend macht Zobel deutlich, „dass solche Gerichtsurteile zeigen, dass man in Thüringen bei der politischen Umsetzung der Empfehlungen der NSU-Untersuchungsausschüsse endlich weiterkommen muss. Auf die Thüringer Justiz können sich weder die Betroffenen von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt noch diejenigen verlassen, die gegen die bestens organisierte Neonazi-Szene und ihre rechtsterroristischen Strukturen im Freistaat vorgehen wollen.“

ezra arbeitet in Trägerschaft der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Seit April 2011 unterstützt die Beratungsstelle Menschen, die angegriffen werden, weil Täter:innen sie einer von ihnen abgelehnten Personengruppe zuordnen. Finanziert wird die Opferberatungsstelle über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und das Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit „DenkBunt“.