Eklatante Ermittlungsfehler der Eichsfelder Polizei werden im Verfahren zum Angriff auf Journalisten bei Fretterode offensichtlich: Opferberatung fordert interne Aufarbeitung und parlamentarische Aufklärung des Polizeieinsatzes

Am Montag, dem 4. Oktober 2021, fand am Landgericht Mühlhausen der 7. Prozesstag im Verfahren zum brutalen, bewaffneten Angriff auf die Journalisten bei Fretterode im April 2018 statt. Im Zuge der Beweisaufnahme wurden Polizeibeamte vernommen, die am Tattag das Fahrzeug der Angreifer beobachteten sowie eine Durchsuchung des Grundstücks von NPD- Funktionär Thorsten Heise durchführen sollten. Während der Observierung konnten ungestört Gegenstände und somit etwaige Beweismittel aus dem PKW entnommen werden. Auch das Grundstück von Heise wurde nicht adäquat durchsucht, die Tatwaffen oder die geraubte Fotoausrüstung damit möglicherweise übersehen.

„Nicht nur, dass das Verfahren bereits vor Beginn des Gerichtsprozesses erheblich verschleppt wurde, machten die Aussagen der Beamten nun deutlich, dass auch die polizeilichen Ermittlungen unmittelbar nach der Tat von Fehlern durchsetzt waren. Das inkonsequente Handeln der Behörden zeigt sich in jedem Stadium dieses Strafverfahrens“, erklärt Theresa Lauß, die zuständige Beraterin bei ezra, der Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen. Auch Pausengespräche zwischen den vernommenen Beamten und einem rechten Szeneanwalt, der einen der angeklagten Neonazis verteidigt, werfen Fragen auf, die beantwortet werden müssen. Dies problematisieren die Nebenklagevertreter Adam und Kahlen in ihrer aktuellen Pressemitteilung.

„Es ist skandalös, dass die schlechten polizeilichen Ermittlungen im schlimmsten Fall und ohne die von den betroffenen Journalisten angefertigten Beweisfotos zur Nichtaufklärung der Tat und Straffreiheit der Täter hätten führen können. Dies hat offenbar keinerlei Konsequenzen für die Beamt:innen. Insbesondere beim Netzwerk um den international organisierten Neonazi- Kader Heise muss alles getan werden, um Straftaten bis ins Detail aufzuklären und Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Diesen Willen sucht man hier vergeblich“ so Lauß.

Auch im letzten Koalitionsvertrag der rot-rot-grünen Thüringer Landesregierung lautete eine Konsequenz aus dem Terror des NSU, alle zur Verfügung stehenden Repressionsmaßnahmen gegen Rechts zu nutzen. „Die Kontinuität rechter Gewalttaten begründet die Aktualität dieser Vereinbarung und macht ihre Umsetzung notwendiger denn je. Wir als fachspezifische Opferberatung fordern strukturelle interne Polizeiermittlungen sowie eine umfassende parlamentarische Aufklärung. Innerhalb der Strafverfolgungsbehörden muss sich endlich eine Fehlerkultur etablieren, die eine unabhängige zielgerichtete Aufarbeitung ermöglicht“, macht die ezra-Beraterin deutlich und betont abschließend: „Ohne solidarische und kritische Prozessbegleitung sowie eine engagierte Nebenklage, die eklatante Ermittlungsfehler wie in diesem Fall bekannt macht und problematisiert, könnten die Betroffenen keine Aufklärung durch Strafverfolgungsbehörden erwarten.“

ezra arbeitet in Trägerschaft der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Seit April 2011 unterstützt die Beratungsstelle Menschen, die angegriffen werden, weil Täter*innen sie einer von ihnen abgelehnten Personengruppe zuordnen. Finanziert wird die Opferberatungsstelle über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und das Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit „DenkBunt“.