Nach Neonazi-Angriff auf Journalisten im Eichsfeld kritisiert ezra die Staatsanwaltschaft Mühlhausen für verschleppte Ermittlungen und Täter-Opfer-Umkehr – „Thüringer Justizministerium muss in diesem Fall dringend seine Aufsichtspflicht wahrnehmen“

„Wir verurteilen die öffentlichen Äußerungen des Staatsanwalts Mühlhausen [1] aufs Schärfste, im Fall des neonazistischen Angriffs auf zwei Journalisten in Fretterode am 29. April 2018 würden die Ermittlungen der Täter unter anderem deshalb schwierig verlaufen, weil die von den Betroffenen zur Verfügung gestellten Fotos manipuliert sein könnten“, erklärt Theresa Lauß, Beraterin bei ezra, der Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen. „Ohne einen tatsächlichen Hinweis auf eine vermeintliche Manipulation der Fotos zu nennen, erzeugt der Sprecher der Staatsanwaltschaft in der Öffentlichkeit das Bild von lügenden Opfern neonazistischer Gewalt. Durch diese Täter-Opfer-Umkehr werden die Verletzten des Angriffs von zwei Neonazis erneut viktimisiert.“

„Ganz offensichtlich will die Staatsanwaltschaft in Mühlhausen als Herrin des Ermittlungsverfahrens ihrem Auftrag nicht nachkommen. Deshalb fordern wir das Thüringer Justizministerium auf, seiner Aufsichtspflicht nachzukommen und entsprechende Anweisungen an die Staatsanwaltschaft zu geben, die unter Berücksichtigung der umfassenden Beweislage eine Untersuchungshaft für die Täter nach sich ziehen muss“, so Lauß weiter. „Angesichts der Tatsache, dass es sich bei dem Angriff um eine versuchte Tötung handelt und die Täter aus dem organisierten, militanten Neonazi-Spektrum stammen, sind unserer Meinung nach Haftgründe wie Flucht- oder Verdunklungsgefahr gegeben.“

Obwohl den Ermittlungsbehörden neben den Fotos der tatbeteiligten Neonazis umfassende Zeugenaussagen der Betroffenen vorliegen und nicht zuletzt die schweren Verletzungen und das zerstörte Auto den Angriff beweisen, scheinen im Fokus der Ermittlungen mögliche manipulierte Fotos zu stehen. In der Öffentlichkeit und bei den Betroffenen entsteht damit immer mehr der Eindruck, als würden hier Ermittlungen verschleppt werden. Die Betroffenen hatten noch am Tag des Angriffs ihre Zeugenaussage bei der Polizei gemacht. Die Fotos, auf denen einer der Täter und das Fahrzeug der Täter zu erkennen sind, wurden am Tag darauf an die Polizei weitergegeben. Der andere Täter wurde inklusive einer ausführlichen Täterbeschreibung von den Betroffenen namentlich benannt. Die Polizei jedoch hatte erst eine Woche nach dem Angriff einen Zeug*innenaufruf veröffentlicht.

Zum Hintergrund:

Zwei Journalisten sind am 29. April 2018 in Fretterode / Hohengandern im thüringischen Eichsfeld bei Recherchen im Wohnumfeld des Neonazis und NPD-Funktionärs Thorsten Heise brutal angegriffen worden. Die Journalisten hatten zu Recherchezwecken Foto- und Filmaufnahmen des Grundstücks angefertigt, auf dem regelmäßig Neonazitreffen stattfinden, als zwei Männer aus dem Wohnhaus Heises stürmten und die beiden zunächst zu Fuß und dann mit dem Auto verfolgten. Als die Angreifer die Journalisten auf der Landstraße einholten, attackierten sie diese mit Messer und Schraubenschlüssel. Die betroffenen Journalisten trugen dadurch erhebliche Verletzungen davon. Die Neonazis raubten den Betroffenen zudem ihre Fotoausrüstung und zerstörten ihr Auto.

In der Kriminologie beschreibt der Begriff „Viktimisierung“ den Prozess des „Zum Opfer Werdens“. Eine „sekundäre Viktimisierung“, also eine „zweite Opferwerdung“, entsteht beispielsweise durch Fehlreaktionen der Ermittlungsbehörden. Nach Erfahrungen von Opferberatungsstellen wie ezra können die Folgen einer sekundären Viktimisierung oft ebenso gravierend und in einigen Fällen noch gravierender sein als unmittelbaren Folgen einer Gewalttat.

Weitere Informationen: https://www.tagesspiegel.de/politik/neonazi-ueberfall- auf-journalisten-linke-und-opferberatung-kritisieren-ermittler-in- thueringen/21235462.html

[1] http://www.goettinger-tageblatt.de/Die-Region/Goettingen/Noch-keine- Festnahmen-nach-Angriff-auf-Journalisten-in-Fretterode